Das Programm

Mit Franz Welser-Möst steht am 1. Januar 2023 ein besterprobter Dirigent am Pult im Wiener Musikverein: Bereits zum dritten Mal leitet der mittlerweile 62-Jährige das traditionelle Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Welser-Möst wagt einen Schritt mit Pioniercharakter: Bis auf ein einziges handelt es sich bei allen gespielten Werken des offiziellen Programms um Erstaufführungen im Rahmen des Wiener Neujahrkonzerts. Kurzum: Die „Gassenhauer“, von denen üblicherweise stets mehrere vorgesehen sind, fehlen. Einzig mit Josef Strauss‘ Aquarellen-Walzer ganz zum Schluss verklingt das Programm mit einem wiederholt dagewesenen „Schlager“, abgesehen natürlich von den beiden traditionellen Zugaben (Donauwalzer, Radetzky-Marsch).
Das verspricht zunächst ein sehr spannendes Programm mit vielen Überraschungen, wäre da nicht der (zu) grosse Schwerpunkt, den Welser-Möst auf Josef Strauss legt. Von den 15 Werken stammen deren 8 von ihm! Pepis Talent in Ehren, doch sind das mindestens 3 Nummern zuviel vom Mittleren der drei Strauss-Söhne. Es scheint wohl der ausgeprägten Vorliebe Welser-Mösts für das Werk Josef Strauss‘ geschuldet zu sein. Schade: Joseph Lanner bleibt leider auch diesmal aussen vor. Aber immerhin: Dafür hat Welser-Möst einen der packendsten Walzer Carl Michael Ziehrers gewählt.
Obschon das Programm noch „strauss-lastiger“ als 2022 ausfällt und sogar der „schöne Edi“ gleich zweimal zum Zuge kommt, wird man sich auf hauptsächlich unbekannte und doch vertraute Töne freuen können. Überdies sind diesmal drei Tanzeinspielungen geplant (Choreo: Ashley Page, Kostüme: Emma Ryott) und nicht wie sonst deren zwei.
Es werden gespielt:
1. Eduard Strauss – Wer tanzt mit?; Polka op.251
Die kurze Polka mit einer für Eduard Strauss sehr typischen Lebendigkeit passt hervorragend als Eröffnungsnummer und stimmt auf das ein, was alles noch folgen wird. Die Uraufführung von „Wer tanzt mit?“ fand am 7. November 1886 im Rahmen der traditionellen strauss’schen Sonntagskonzerte im Musikvereinsgebäude statt, dirigiert von Eduard persönlich.
2. Josef Strauss – Helden-Gedichte; Walzer op.87

Mit Eduards Bruder Josef und feierlichen Fanfaren geht’s weiter, denn damit eröffnet dieser Walzer, welchen Pepi 1860 geschrieben hat. Dies vor folgendem Hintergrund: Am 22. Mai genannten Jahres wurde das Reiterstandbild Erzherzog Carls auf dem Heldenplatz, geschaffen von Anton Dominik Fernkorn, enthüllt. Anlässlich dessen sollte die Strauss-Kapelle im Volksgarten ein Festkonzert geben. Wegen des schlechten Wetters musste diese Veranstaltung jedoch auf den 25. Mai verlegt werden. Eigens dafür hat Josef Strauss zwei Kompositionen geschrieben: Den Erzherzog Carl-Marsch op.86 und den Walzer Helden-Gedichte op.87 – selbsterklärend bezugnehmend auf die militärischen Verdienste Erzherzog Carls. Beide Werke erhielten grossen Applaus, aber schon bald verschwand der Walzer von der Bildfläche und galt als verschollen. Doch dank der erhaltenen Partiturabschrift eines Kopisten konnte die Orchesterfassung dieses Walzers mit partiell militärischer Klangcoloratur rekonstruiert werden – und wird der Welt hiermit erstmals in würdevollem Rahmen präsentiert.
3. Johann Strauss Sohn – Zigeunerbaron-Quadrille; op.422
Quadrillen hatten den Zweck, die populärsten Musikmotive eines Bühnenstückes zusammenfassend darzureichen. So enthält Strauss‘ Opus 422 die bekanntesten Melodien seiner Operette „Der Zigeunerbaron„, welche nach der „Fledermaus“ eine der häufigst inszenierten von Strauss ist. Die Quadrille wurde an einem Hofball in der Hofburg im Frühjahr 1886 uraufgeführt.
4. Carl Michael Ziehrer – In lauschiger Nacht; Walzer op.488

Nach Strauss‘ Potpourri im 2/4- und 4/4-Takt kommt die Welt in den Genuss einer der prächtigsten und opulentest arrangierten Walzerkompositionen Ziehrers, der bekanntlich ein Wiener mit Leib und Seele war. Entsprechend war sein Stil. Opus 488 beinhaltet die populärsten Melodien von Ziehrers erfolgreichster Operette „Die Landstreicher“ nach dem Libretto von Leopold Krenn und Carl Lindau. Das Hauptthema dieses wundervollen Walzers entspricht zugleich dem bekanntesten Lied aus dem 1899 in Wien uraufgeführten Bühnenwerk: Sei gepriesen, du lauschige Nacht, eine bezaubernde, melancholische Ode an das Älterwerden. Dazu gibt’s eine delikate, kaum bekannte Hintergundgeschichte. Für die ersten paar Töne des Hauptwalzers hat sich Ziehrer an Johann Strauss‘ opus 209 („Spiralen“) von 1858 orientiert. Dafür musste sich Ziehrer den Vorwurf von Plagiarismus gefallen lassen, unter anderem von Franz Gaul, Bühnenbildner des k.u.k. Hofoperntheaters.
5. Johann Strauss Sohn – Frisch heran!; Polka op.386
Weit weniger aufwendig angelegt ist diese hübsche, aber unspektakuläre Polka, die nicht gerade zu Strauss‘ Geniestreichen gehört. Strauss hat die Polka für den traditionellen Ball der Journalisten- und Schriftstellervereinigung Concordia im Sofiensaal am 2. Februar 1880 geschrieben. Das Stück hielt sich nicht lange im Repertoire und geriet schnell in Vergessenheit. Als netter Ausklang des ersten Konzertteils erlebt es seine Reinkarnation.
PAUSE
(Pausenfilm zum Schwerpunktthema Wiener Weltausstellung 1873)
6. Franz von Suppé – „Isabella“-Ouverture
Obschon Franz von Suppé der Wiener Operettenpionier war, kennt man von seinen über 30 Bühnenwerken bis auf einige wenige heute kaum mehr welche. Gehalten haben sich jedoch viele der meisterhaft arrangierten Ouverturen. Von diesen gehört die hier vorgetragene zu den wenig bekannten. Und doch steht sie den populären Suppé-Ouverturen in nichts nach und besticht mit der typischen Verspieltheit und zahlreichen lieblichen Melodien, die sich mit dramatischen Sequenzen abwechseln und das Ganze nie langatmig werden lassen. Die Geschichte der Operette „Isabella“ ist in Spanien verortet, weshalb Suppé punktuell iberische Weisen und Castagnetten-Klänge einbindet. Uraufgeführt wurde der Fünfakter am 5. November 1869 im Carl Theater.
7. Josef Strauss – Perlen der Liebe; Walzer op.39
Der Walzer mit der vielleicht nicht allzu kreativen Titelgebung gehört zum Frühwerk des Komponisten und lässt dennoch schon deutlich den sinfonischen Kompositionsstil erkennen, für den Josef Strauss in Fachkreisen gelobt wird. Doch wirken die einzelnen Walzermotive noch weit unaufgeregter als man es von seinen späteren Werken kennt. „Perlen der Liebe“ mag zwar nicht die repräsentativste Wahl für Pepis Talent sein, doch verdient der Walzer seinen Platz als Novität am Neujahrskonzert. Die persönliche Bedeutung des Walzers für den Komponisten liegt darin, dass er ein Hochzeitsgeschenk an seine künftige Frau Caroline Josepha Pruckmayer war. Die Uraufführung erlebte „Perlen der Liebe“ am 30. Juni 1857 im Volksgarten. Zu diesem Walzer gibt’s am 1. Januar eine Tanzeinspielung aus der Schlossanlage Laxenburg.
8. Josef Strauss – Angelica-Polka; op.123
Weiter geht’s mit dem Hauptprotagonisten dieses Neujahrskonzerts und seiner lieblichen Angelica-Polka. Gemütlich mit reizenden Melodienfolgen plätschert sie dahin. Der Anlass für die Titulierung liegt im Dunkeln, denn eine Frau namens Angelica taucht in der Biographie des Komponisten nirgends explizit auf. Josef Strauss dirigierte die Polka erstmals am 1. Juni 1862 bei einem Konzert in der „Neuen Welt“ in Hietzing.
9. Eduard Strauss – Auf und davon; Polka op.73
Auch die zweite Nummer vom Edi an diesem Konzert ist geprägt von Schnelligkeit und Kurzatmigkeit, was der Titel bereits suggeriert. Das Ballettensemble tanzt dazu im Gartenpavillon von Stift Melk. Die Polka „Auf und davon“ wurde am 26. Februar 1871 im Musikverein uraufgeführt und begeistert aufgenommen, denn genau für diesen Schnellpolka-Stil war der jüngste Strauss beim Publikum beliebt. Seine Walzer, von denen viele von beachtenswerter Qualität sind, haben bis heute eher das Nachsehen, weshalb es endlich an der Zeit wäre, dass einer davon Einzug ins Programm eines Neujahrskonzerts fände. „Glockensignale“ op.198 wäre beispielsweise eine hervorragende Wahl.
10. Josef Strauss – Heiterer Muth; Polka op.281
Ab hier gibt’s nur noch Musik von Komponisten namens Josef. Pepis Opus 281 ist reizend und lebensbejahend, entstand jedoch in seinem Todesjahr, als der Komponist schon erkrankt und sehr geschwächt war. Möglicherweise ein leiser Protest, denn mehreren anderen Werken aus dieser Zeit gab Strauss positiv konnotierte Titel, die alles andere als zu seinem gesundheitlichen Zustand passten. Geschrieben hat Josef Strauss „Heiterer Muth“ für den Armenball der Bürger aus Wieden in den Blumensälen der Gartenbaugesellschaft am 9. Februar 1870. Im Rahmen des Neujahrskonzertes 2023 wird diese Polka in gesungener Form wiedergegeben: mit den Wiener Sängerknaben – die heuer ihr 525. Jubiläum feiern – und dem zu diesen gehörenden, 2004 gegründeten Mädchenchor (Wiener Chormädchen).
11. Josef Strauss – For ever; Polka op.193
Würde man hier eher eine gemächliche Polka française oder gar eine Mazurka vermuten, handelt es ich jedoch um eine flotte Schnellpolka. Aus welchem Grund der Komponist einen englischen Titel gewählt hat, ist unbekannt. Ob er hier auch Bezug auf das starke Liebesband zu seiner Ehefrau nimmt? Geschrieben hat er die Polka für einen Benefizball am 29. Januar 1866 im Sofiensaal. Das Stück konnte sich neben den zahlreichen anderen Neuheiten der Strauss-Brüder in dieser Saison nicht durchsetzen. Zum ersten Mal wird der Polka hier breite Aufmerksamkeit zuteil. Ein Vokalarrangement der Komposition wurde 2018 eigens für das Repertoire der Wiener Sängerknaben von deren künstlerischem Leiter Gerald Wirth geschrieben.
12. Josef Strauss – Zeisserln; Walzer op.114
Dieser sehr wienerische Walzer mit lustvollen Melodien hat sein „Überleben“ einer glücklichen Fügung zu verdanken: Die Orchesterpartitur ist im Laufe der Zeit verloren gegangen, doch sind die Druckplatten des Verlegers Haslinger zufällig erhalten geblieben, welche für die Verfielfältigung verwendet worden waren. So hat sich die Orchesterversion reproduzieren lassen. Der Walzer war eine von vielen Oden Strauss‘ an Flora und Fauna: Mit „Zeisserln“ sind die Zeisige gemeint, eine Vogelart, die zumindest damals sehr selten in Wien anzutreffen war. Ihnen widmete Strauss diesen musikalischen Kranz und präsentierte ihn am Abend des 26. August 1861 einem hochbegeisterten Wiener Publikum an der Hernalser Kirchweih in Ungers Casino. Eine exzellente Wahl für dieses Programm.
13. Josef Hellmesberger Jun. – Glocken-Polka und Galoppe aus dem Ballett „Excelsior“

Die Hellmesbergers haben seit einigen Jahren eine Art „Dauerabo“ im Neujahrskonzert (warum eigentlich Joseph Lanner nicht?). Dieser Beitrag hier ist jedoch eine ganz besondere Trouvaille. Das Ballett „Excelsior“ mit 5 Akten und 12 Bildern stammt nicht von Hellmesberger, sondern vom italienischen Choreografen Luigi Manzotti (1835-1905) mit Musik von Romualdo Marenco (1841-1907). Thema dieses sehr erfolgreichen Bühnenstückes, welches am 1. November 1881 an der Mailänder Scala uraufgeführt worden ist und 1885 erstmals an der Wiener Staatsoper gezeigt wurde, sind die wegweisenden technischen Erfindungen und Errungenschaften jener Zeit. Darunter fällt beispielsweise das Fernmeldewesen. Zum 6. Bild „Les Télégraphistes“ vor dem Palais du Télégraphe in Washington hat Josef Hellmesberger Junior für die Wiener Aufführungsreihe offenbar Musik beigesteuert – die Glocken-Polka und eine Galoppe. Deren Präsentation jetzt im Rahmen eines Wiener Neujahrskonzerts ist eine kleine Sensation.
14. Josef Strauss – Orchesterfantasie „Allegro fantastique“
Hier haben wir ein weiteres Werk Josef Strauss‘, dessen heutige Existenz einem glücklichen Zufall zu verdanken ist. Der österreichsche Musikwissenschaftler Thomas Aigner stiess in St. Petersburg vor einigen Jahren auf Noten von drei bis dahin unbekannten Orchesterfantasien aus der Hand von Josef Strauss. Geschrieben worden sind sie im Jahre 1862, als Josef seinen erkrankten Bruder Johann als Leiter dessen Orchesters im russischen Pawlowsk vertrat. Die Fantasie mit der Anhangsnummer 26b wurde 2016 publiziert. Daraus wird das „Allegro fantastique“ heute erstmals der gesamten Welt präsentiert. Das charakterlich sehr abwechslungsreiche Stück mit vielen chromatischen Sequenzen lehnt vermutlich an Johann Strauss‘ „Perpetuum mobile“ an, welches im Jahr zuvor uraufgeführt worden war.
15. Josef Strauss – Aquarellen; Walzer op.258
Würde man sich nun nicht auf einen der hinreissendsten Walzer Pepis freuen können, wäre man zu sagen verleitet, dass es nun wirklich reicht mit Josef Strauss. Die „Aquarellen“ bezaubern insbesondere mit ihrem bombastischen Hauptthema, welches auf eine sinfonisch-schwelgerische Einleitung folgt. Strauss hat den Walzer für den Ball der Wiener Künstlervereinigung Hesperus am 1. Februar 1869 geschrieben und ihn dem Ballcomité gewidmet. Mit „Aquarellen“ ist die Aquarellmalerei gemeint, womit Strauss thematisch Bezug zur Hesperus-Gesellschaft nimmt. In diesem Walzer entfaltet sich Josef Strauss‘ Talent in vollem Umfang. So wundert es nicht, dass die Komposition von den Wienern frenetisch bejubelt wurde und bis heute eine der bekanntesten Kompositionen von Josef Strauss geblieben ist. Der Walzer stand 2002 zum letzten Mal auf dem Programm eines Neujahrskonzertes. Bei der Ausgabe von 1950 war er der Eröffnungswalzer.
Mit den „Aquarellen“ und Johann Strauss‘ Banditen-Galopp op.378 als Zugabe verklingt dieses einzigartige Konzertprogramm, welches mit seiner Novitätenvielfalt in die Geschichte der traditionellen Neujahrskonzerte der Wiener Philharmoniker eingehen wird. Es folgen wie immer der Donauwalzer von Johann Strauss Sohn, zu dem die dritte Tanzeinlage aus dem Inneren von Stift Melk eingespielt wird, und der Radetzky-Marsch von Johann Strauss Vater.
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Hier gibt es leider keine Programme des Neujahrskonzerts. Fragen Sie am besten beim Musikverein nach oder bei den Philharmonikern.
Kompetent wie immer!
Vielen Dank für das diesjährige Programm – wie immer ein Vergnügen!
Beste Grüße aus München – S.
Niet vergeten over 2 weken komt er verrssaning van Franz welser most