Programm
Das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 2018 im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins wird von Riccardo Muti dirigiert. Der 75-jährige Italiener leitet das Konzert zum fünften Mal. Die Programmwahl ist sehr klassisch: viel Strauss. Leider wieder ohne Eduard, dafür gleich zweimal mit dem Vater im offiziellen Programm. Die diesjährige Besonderheit ist ein Beitrag von Alphons Czibulka, ein heute kaum mehr bekannter Vertreter des Wiener Genres. Es ist ein solides, mittelmässig aufregendes Programm mit drei vier Paradenummern und einigen selten gehörten Perlen. Joseph Lanner und Carl Michael Ziehrer fehlen diesmal. Bedauerlich.
Am Neujahrskonzert 2018 werden gespielt:
1. Johann Strauss (Sohn) – Einzugsmarsch (aus dem „Zigeunerbaron„)
Mit dem schneidigen Einzugsmarsch aus dem 3. Akt der Operette „Der Zigeunerbaron“ vertont Johann Strauss seine Vorstellung eines pompösen, freudigen Empfangs von heimkehrenden Soldaten aus dem Spanischen Erbfolgekrieg. Die erste konzertante Aufführung dieses Marsches fand am 6. Dezember 1885 ebenfalls im Goldenen Saal statt. Diese schwungvolle Wahl passt sehr gut zur Eröffnung eines Neujahrskonzerts.
2. Josef Strauss – Wiener Fresken; Walzer op. 249
Weiter gehts mit einem selten gespielten Walzer von Josef – ein lebensbejahendes Tongedicht, Wiener Musik erster Güte. Geschrieben hat Josef diesen melodienreichen Walzer für das grosse Schützen-Festival in Wien im Juli 1968. „Wiener Fresken“ war vorgesehen für das Konzert im Volksgarten am 28. Juli 1868, welches Teil des Festivals war. Warum der Komponist den Titel „Fresken“ wählte, ist nicht überliefert. Ob er die internationale Gästeschar auf die allgegenwärtigen Kunstwerke in den Wiener Kirchen und Wiener Palästen aufmerksam machen wollte? Jedenfalls ein sehr schöner Beitrag für das Neujahrskonzert 2018. Der bildliche Exkurs führt u.a. in den Prunksaal der Nationalbibliothek mit seinen fantstischen Deckenfresken.
3. Johann Strauss (Sohn) – Brautschau; Polka op. 417
Schon sind wir wieder beim „Zigeunerbaron„. Mit dem Titel „Brautschau“ dürften die wenigsten etwas anfangen können, umso mehr dafür aber mit der Melodie. Das neckische Hauptthema der Polka ist nichts anderes als das weltberühmte Couplet des Schweinezüchters Zsupan, dessen einziger Lebenszweck „Borstenvieh und Schweinespeck“ ist. Diese Polka hat Johann Strauss bereits einen Monat nach der Uraufführung der Operette konzertant aufführen lassen, durch seinen Bruder Edi am 29. November 1885 an einem der traditionellen Sonntagskonzerte.
4. Johann Strauss (Sohn) – Leichtes Blut; Polka op. 319
Die Strauss-Brüder pflegten es, für die Wiener Karnevalsrevuen mit Novitäten aufzuwarten. Für diejenige des Jahres 1867 komponierten Johann und Josef zusammen mindestens 24 Neuheiten, darunter kamen von Johann auch „An der schönen blauen Donau“ und „Künstlerleben„. Die Uraufführung von „Leichtes Blut“ am 10. März 1867 schlug ein – die Polka musste mehrmals wiederholt werden. Bis heute gehört sie zu den populärsten Strauss-Werken im 2/4-Takt und steht am Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker regelmässig auf dem Programm. Immer wieder erfrischend.
5. Johann Strauss (Vater) – Marienwalzer; op. 212
Ein Walzer von Papa Strauss, das freut! Es ist ein typisches Werk von ihm: fröhliche, zuweilen sehr einfache, aber effektive aneinandergereihte Melodienfolgen, wie sie typisch sind für die frühen Zeiten der Wiener Konzertwalzer. Dass die immer tanzbarer werdenden Lanner- und Strausswalzer vom vergnügungshungrigen Wiener Publikum mit einer enormen Begeisterung aufgenommen wurden, zeigte sich auch an der Uraufführung des Marienwalzers am 20. Juli 1847 im Volksgarten. Trotz trübem Wetter erschien das Publikum zahlreich und verlangte gleich zweimal eine Wiederholung.
6. Johann Strauss (Vater) – Wilhelm Tell Galopp; op. 29b
Nachdem Rossinis Oper „Guillaume Tell“ am 3. August 1829 in Paris uraufgeführt worden war, sprach sich der beispiellose Erfolg des Werkes in ganz Europa herum. Dennoch war die berühmte Ouverture mit dem unverkennbaren Tell-Galopp-Motiv in Wien erst im März 1830 erstmals zu hören. Strauss Vater reagierte umgehend und zimmerte aus den einprägsamen Takten schnell eine Galoppe, welche er erst gegen den Schluss mit eigenen Ideen anreicherte. Diese arrangierte er jedoch so geschickt, dass man meinen könnte, sie wären ebenfalls von Rossini.
—— PAUSE ——
7. Franz von Suppé – Ouvertüre zu „Boccaccio“
Mit von Suppé, dem Wegbereiter der Wiener Operette, eröffnet der zweite Teil des Konzerts. „Boccaccio“ war das erfolgreichste Bühnenwerk von Suppés, und es wird auch heute noch regelmässig aufgeführt. Die Ouvertüre beginnt mit einer Tonfolge, die den Donauwalzer zu implizieren scheint. Es folgen tonmalerische Motive mit zuweilen dramatischer Linienführung. Typisch von Suppé. Ein sehr schöner Start in den zweiten Konzertteil.
8. Johann Strauss (Sohn) – Myrthenblüten; Walzer op. 395
Ein heute selten mehr gespielter Walzer, der sich für ein Neujahrskonzert-Programm jedoch hervorragend eignet. Mit blumigen Harfenklängen eröffnet das Intro, bald geht es fast nahtlos in eines der bezauberndsten Hauptthemen eines Strauss-Walzers über. Der Kenner merkt gleich: Es ist eine Melodie aus der Operette „Wiener Blut“ („Wie hab‘ auf dir ich musiziert, Armes Spinett, dich malträtiert!“). Strauss hat den Walzer anlässlich der Vermählung von Kronprinz Rudolf mit Stephanie von Belgien am 10. Mai 1881 geschrieben, ursprünglich als Chorfassung für den Wiener Männergesangsverein. In dieser Version wurde der Walzer zwei Tage vor der Hochzeit im Wiener Prater erstmals aufgeführt – vor einer hingerissenen Menge von 20’000 Menschen!
9. Alphons Czibulka – Stephanie-Gavotte; op. 312
Czibulka kennen heutzutage (leider) nur noch wenige Liebhaber der leichten U-Musik. Es gibt auch nur wenige Kompositionen des gebürtigen Ungaren/Slowaken, welche die Zeit überdauert haben. Sein wohl berühmtestes Werk, das vielen vertraut klingen dürfte, ist die Stephanie-Gavotte, ein reizendes, eingängiges Kleinod feinster Wiener Salonmusik, welches – wie die „Myrthenblüthen“ – der Kronprinzessin Stephanie gewidmet ist. Es ist hocherfreulich, dass Czibulka am Neujahrskonzert gespielt wird. Das Ballett tanzt dazu im Kaiserlichen Hofpavillon der Wiener Stadtbahn, welcher Otto Wagner für den Kaiser erbaut hat. 2018 ist der 100. Todestag des Architekten.
10. Johann Strauss (Sohn) – Freikugeln; Polka op. 326
Eine populäre, vor Fröhlichkeit sprudelnde Strauss-Polka, zum x-ten Male am Neujahrskonzert vertreten. Komponiert hatte Strauss die „Freikugeln“ anlässlich des grossen Bundesfestschiessens der internationalen Schützenvereine im Wiener Prater im Jahre 1868. Die Erstaufführung am 27. Juli erntete Begeisterungsstürme, genauso wie auch die Reprise am Tag darauf im Volksgarten.
11. Johann Strauss (Sohn) – Geschichten aus dem Wienerwald; Walzer op. 325
Ja, hierzu gibt’s nicht viel zu sagen, ausser dass dieser Walzer – zumindest aus Sicht des Autors – das Non-Plus-Ultra aus Johann Strauss‘ Werk darstellt. Es ist einer der genialsten, wenn nicht der genialste Wurf des Komponisten, musikalische Vollkommenheit, ein unerreichtes Tongemälde. Der Walzer dürfte jedes Jahr auf dem Programm stehen. Näheres zu diesem Meisterwerk hier.
12. Johann Strauss (Sohn) – Fest-Marsch; op. 452
Von Strauss Sohn sind zwei „Fest-Märsche“ überliefert. Op.49 entstand im Jahre 1847 anlässlich der Wiedner Kirchweih. Op.452 aus dem Jahre 1893 war eine Widmungskomposition. Strauss schrieb den Marsch zu Ehren der Vermählung von Prinz Ferdinand von Bulgarien mit Prinzessin Maria Luisa von Bourbon-Parma. Die Erstaufführung erfolgte am 4. Juni 1893 im Wiener Prater im Rahmen eines grossen Aufmarsches aller in Wien stationierten Regimentsmusiken. An die 10’000 Zuschauer waren anwesend.
13. Johann Strauss (Sohn) – Stadt und Land; Mazurka op. 322
Im Gegensatz zu seinem Vater zog es Johann Strauss Sohn nur einmal nach England. Als er in einem Vorort Londons weilte, war er beeindruckt von dem ausgeprägten Kontrast zwischen dem ruralen Leben und der pulsierenden Metropole. Diese Faszination vertonte er mit der schwelgerisch-melodiösen Mazurka op.322, welche er in Wien am 19. Januar 1868 an einem Konzert in den Blumensälen der Wiener Gartenbaugesellschaft uraufführte. Erwartungsgemäss war der Jubel gross. Auch im Russischen Pawlowsk, wo Strauss die Mazurka im Folgejahr vortrug, wurde das Werk mit Begeisterung aufgenommen und unter dem Titel „Vilanella-Polka“ veröffentlicht.
14. Johann Strauss (Sohn) – Un ballo in maschera; Quadrille op. 272
Wenn wir schon so eine Häufung an Johann Strauss-Werken in der zweiten Konzerthälfte aufgetischt erhalten, ist es nur gut, dass wir auch eine Quadrille hören. Schon der Vater, aber auch Bruder Josef haben davon mehrere geschrieben. Die Maskenball-Quadrille basiert – wie der Titel es sagt – auf Themen der gleichnamigen Verdi-Oper. Diese wurde am 17. Februar 1859 in Rom uraufgeführt. Es dauerte jedoch geschlagene fünf Jahre, bis das Bühnenwerk auch in Wien gezeigt wurde. Die Wiener hatten damals nie viel übrig für Verdi und nahmen seine Opern mit tendenziell ablehnender Haltung zur Kenntnis. Anders sah das Johann Strauss. Er schwärmte für den Italiener. Als Strauss 1861 in Russland weilte, wurde dort „Un ballo in maschera“ aufgeführt – lange bevor es das Werk nach Wien schaffte. Strauss nutzte diese Gelegenheit, griff die prägnantesten Themen der Oper auf und verarbeitete sie zu einer Quadrille. Diese präsentierte er am 21. Dezember 1862 an einem Konzert im Volksgarten. Über die Reaktionen des Publikums ist jedoch nichts Verlässliches überliefert.
15. Johann Strauss (Sohn) – Rosen aus dem Süden; Walzer op. 388
Grossartig: Wie die „Geschichten aus dem Wienerwald“ gehören die „Rosen aus dem Süden“ zu den erfolgreichsten, bekanntesten und vor allem bezauberndsten Konzertwalzern von Strauss. Der Walzer zitiert die schönsten Passagen aus der hingegen nicht mehr bekannten Operette „Das Spitzentuch der Königin“. Näheres zu op.388 hier. Zu Recht steht der häufig gespielte Walzer wieder auf dem Konzertprogramm. Die Balletteinspielung wurde in Schloss Eckartsau aufgenommen.
16. Josef Strauss – Eingesendet; Polka op. 240
Nach einer grossen Portion Johann macht also Josef den Abschluss des offiziellen Konzertprogramms. Quirlig und fröhlich sprudelt die Schnellpolka dahin. Die Strauss-Brüder komponierten auch im Jahre 1868 wieder Walzer und Polkas eigens für den traditionellen Concordiaball. Bei der Aufführung am 4. Februar besagten Jahres wurde „Eingesendet“ von allen Widmungskompositionen am besten aufgenommen. Die Polka findet sich noch heute auf Konzertprogrammen.
17. (Zugabe) Johann Strauss (Sohn) – Unter Donner und Blitz; Polka op. 324
Strauss komponierte diese Polka für den Hesperus-Ball am 16. Februar 1868 im Dianabad-Saal. Hesperus bedeutet Abendstern (Planet Venus), und Strauss hat sich mit der Polka im Zusammenhang damit eine andere Himmelserscheinung zum Vorbild genommen – ein Gewitter. Mit „Unter Donner und Blitz“ vertont er die häufige meteorologische Folge von Sommerhitze. Schnell und zackig sprudelt die Polka dahin.
Und wie jedes Jahr schliesst das Konzert mit „An der schönen blauen Donau“ und dem Radetzky-Marsch.
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