Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 2019

Programm


Das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 2019 im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins wird zum ersten Mal von Christian Thielemann (*1959), Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden, dirigiert. Mit einem neuen Gesicht an der Front steigt auch immer die Hoffnung auf „neuen Wind“ im Programm. Thielemann, gebürtiger Berliner, erfüllt diese Erwartung zwar nicht unbedingt in der Varietät der gespielten Komponisten, dafür aber hinsichtlich erstmals in diesem Rahmen intonierter Raritäten, es sind deren sechs.

Während Joseph Lanner und Johann Strauss Vater heuer (leider!) gänzlich fehlen im offiziellen Programm, räumt Thielemann dafür dem jüngeren Joseph Hellmesberger und Eduard Strauss je zwei Plätze ein. Warum die beiden vergleichsweise wenig bedeutenden, aber wohltalentierten Hellmesbergers Junior und Senior in den letzten Jahren so regelmässig zum Zug kommen an den Neujahrskonzerten, darüber kann man nur rätseln. Alles in allem erwartet uns aber ein recht spannendes, solides Programm mit mehreren seltenen Perlen und immerhin zwei wohlbekannten, wunderbaren Konzertwalzern, derer man nie überdrüssig werden kann.


Am Neujahrskonzert 2019 werden gespielt:

1. Carl Michael Ziehrer – Schönfeld Marsch; op. 422

Das Konzert startet gleich mit einer bombastischen Nummer: Der „Freiherr von Schönfeld-Marsch“, wie das Stück mit vollem Namen heisst, gehört nach Ansicht des Autors nicht nur zu den hinreissendsten Märschen, die jemals geschrieben worden sind, sondern es ist eine der berühmtesten Marschkompositionen im deutschsprachigen Raum. Seit 1920 ist es der offizielle Regimentsmarsch der österreichischen Armee. Ziehrer hat den Marsch für den österreichischen Generalstabchef Anton von Schönfeld (1827-1898)  geschrieben. Als Schönfeld nach längerem Ausbleiben der Komposition bei Ziehrer nachhakte, soll dieser erschrocken gerufen haben: „Mein Gott, das habe ich total vergessen!“ Gleich darauf soll sich Ziehrer ans Klavier gesetzt und in Windeseile, jedoch mit genialer Eingebung, den Marsch skizzenhaft komponiert und ihn sofort zur Instrumentierung gegeben haben.

2. Josef Strauss – Transactionen; Walzer op. 184

Ein exzellenter Walzer mit einer für Josef Strauss sehr typischen, wunderbar tonmalerischen Introduktion und einem recht einfachen, aber umso wirkunsvolleren Hauptthema. Woher die Namensgebung rührt, bleibt unklar, zumal die original Partitur Amor zeigt, der die Hände zweier Liebenden vereint, was nicht wirklich etwas mit Börsen-„Transactionen“ zu tun hat. Pepi Strauss schrieb diesen Walzer kurz vor seiner Abreise in einen Erholungsurlaub. Die Uraufführung erfolgte am 2. August 1865 im Volksgarten.

3. Joseph Hellmesberger (Jun.) – Elfenreigen, ein Charakterstück

Diese schön arrangierte, sehr kontrastreiche Komposition war bereits im Jahre 2007 im Programm des Neujahrskonzerts. Es vertont den leichten, beschwingten Tanz zarter Feenwesen. Eine willkommene „Erleichterung“ nach dem anspruchsvollen Walzer von Josef Strauss.

4. Johann Strauss (Sohn) – Express-Polka; op. 311

Diese nette kleine Polka, die jedoch nicht unbedingt zu den einfallreichsten Glanzstücken des Komponisten gehört, diente zur Zeit ihrer Entstehung als kleiner Aufsteller-Versuch für das Volk. Erst zuvor nämlich hatte Österreich seine verheerende Niederlage in der Schlacht bei Königgrätz erlitten mit grossen menschlichen Verlusten. Die Stimmung im Lande war denkbar getrübt. Über vier Monate nach dem Rückschlag, am 18. November 1866, spielten die Strauss-Brüder erstmals wieder auf und wagten den Versuch, das Volk mit Novitäten aus der Lethargie zu locken. Die Express-Polka war einer der Beiträge, welche an diesem Konzert im Volksgarten mit viel Begeisterung aufgenommen wurden.

5. Johann Strauss (Sohn) – Nordseebilder; Walzer op. 390

In den Jahren 1878 und 1879 weilte Johann Strauss in Norddeutschland und erholte sich an der frischen Nordseeluft, unter anderem auf der Insel Föhr. Inspiriert von der charakteristischen Landschaft, von der angenehmen Rauheit des Klimas und des Wetters schrieb Strauss ein wahres Meisterwerk nieder, ein symphonisches Tongemälde allererster Qualität, das die sanften bis wilden Wellen der kühlen Nordsee umschreibt. Dies beginnt bereits mit der bezaubernden Einleitung, die schliesslich in eines der hinreissendsten Walzerthemen Strauss‘ übergeht. Im Herbst 1879 wurde „Nordseebilder“ in Wien uraufgeführt. Das Publikum war so elektrisiert, dass Strauss den Walzer mehrmals wiederholen musste.

6. Eduard Strauss – Mit Extrapost; Galopp op. 259

Es freut, dass der „schöne Edi“ noch im ersten Teil des Konzerts zu Ehren kommt, denn er wird – oft zu Unrecht – stiefmütterlich behandelt im Vergleich zu seinen Brüdern. „Mit Extrapost“ ist eine zackige, temporeiche Galoppe mit sehr gefälligen Passagen, die nichts als gute Laune bereiten. Leider ist die Stückwahl nicht besonders einfallsreich, zumal die Galoppe schon mehrmals an einem Neujahrskonzert gespielt worden ist. Wann endlich setzt sich ein Dirigent intensiver mit Eduards Oeuvre auseinander und erkennt mit dem nötigen Sachverstand, was es hier für Juwelen zu bergen gibt? Und zwar nicht nur Galoppen und Polkas, auf die der Edi seit jeher beschränkt wird. Man vermisst seine grandiosen Walzer.

… PAUSE (Film zu 150 Jahren Wiener Staatsoper)

7. Johann Strauss (Sohn) – Ouvertüre zu „Der Zigeunerbaron

Mit slawisch anmutenden Takten gehts in den zweiten Teil: Das Eröffnungsstück von Strauss‘ dritterfolgreichster Operette ist ein vielschichtiges, dynamisches Meisterwerk mit viel Feuer – v.a. in der zweiten Hälfte – und ebenso ruhigen wie beschwingten Motiven, die Wohlbekanntes zitieren. Die Operette wurde im Oktober 1885 im Theater an der Wien uraufgeführt. Die Wahl der Ouverture als Einstieg in den zweiten Teil des Neujahrskonzerts ist sicher passend.

8. Josef Strauss – Die Tänzerin; Polka op. 227

Eine kleine Trouvaille, selten gehört, da lange Zeit vergessen. Josef Strauss schrieb diese liebliche Polka vermutlich für ein von Carl Schwender organisiertes Park-Konzert in der „Neuen Welt“ in Hietzing im Juni 1867. Es ist davon auszugehen, dass die relativ einfache Polka nicht der Hit des Tages war. Aufzeichnungen zufolge wurde sie nach dem Konzert nur noch einige wenige Male aufgeführt und war bald ganz vergessen. Schön, dass sie hier eine Reinkarnation in populärem Rahmen erlebt.

9. Johann Strauss (Sohn) – Künstlerleben; Wazler op. 316

Einer von Strauss‘ meistgespielten Konzertwalzern, der seine Wirkung nie verfehlt und dem auch immer wieder ein Platz im Neujahrskonzertprogramm gebührt, heuer anlässlich 150 Jahre Wiener Staatsoper. Der Walzer wird hier beschrieben. Balletteinlage, choreografiert von Andrey Kaydanovskiy.

10. Johann Strauss (Sohn) – Die Bajadere; Polka op. 351

Diese Wahl ist insofern etwas rätselhaft, als diese im Gesamtwerk von Strauss eher unbedeutende, wenn auch neckische Polka in den vergangenen zwei Jahrzehnten bereits dreimal Teil des Programms war. Die Polka zitiert Passagen aus Strauss‘ erster, wenig erfolgreichen Operette „Indigo und die 40 Räuber“. Die Musik hingegen, darunter auch diese Polka kamen beim Publikum gut an. Im Juni 1871 wurde sie im Volksgarten erstmals konzertant aufgeführt. Dennoch hätte man sich an dieser Stelle etwas Einfallsreicheres gewünscht.

11. Eduard Strauss – Opern-Soirée; Polka op. 162

Nun noch eine Polka von Edi, kompositorisch keine Meisterleistung (er konnte es viel besser), aber immerhin eine Neujahrskonzert-Novität. Im Dezember 1877 gaben Eduard und Johann im Rahmen einer Opern-Soirée ihr erstes gemeinsames Konzert mit den Wiener Philharmonikern. Als Eduard seine neue, entsprechend benannte Polka anstimmte, sollen der überlieferung zufolge schnurstracks alle Sessel zur Seite geräumt geworden sein, damit das begeisterte Publikum dazu tanzen konnte. Der anwesende Kaiser Franz Joseph soll darob nicht sonderlich begeistert gewesen sein.

12. Johann Strauss (Sohn) – Eva-Walzer nach Motiven aus „Ritter Pásmán“

Mit Hörnern und Fanfaren eröffnet das Stück, das keine Opus-Nummer trägt. Der Eva-Walzer ist ein musikalisches Exzerpt aus der einzigen Strauss-Oper, mit welcher der Komponist im Januar 1892 leider grandios scheiterte – der Versuch, sich „ernster Musik“ zuzuwenden, er gelang nicht. Der Eva-Walzer war eines der wenigen Stücke dieser komischen Oper, das von den Kritikern gelobt wurde. Zu recht, denn der vergleichsweise kurze Walzer überzeugt mit bezaubernden Sequenzen, die zwar so gar nicht strauss-typisch, aber dem Gemüt sehr zuträglich sind.

13. Johann Strauss (Sohn) – Csárdás aus „Ritter Pásmán“; op. 441

Auch dieser Csárdás gehört zu den wenigen erfolgreichen Musikteilen der Oper. Hier wird Strauss sehr „ungarisch“. Die erste Hälfte des Stückes ist allerdings recht langatmig, bevor es dann endlich das temperamentvolle slawische Feuer entwickelt. Balletteinlage, choreografiert von Andrey Kaydanovskiy, gefilmt in Schloss Grafenegg nahe Krems.

14. Johann Strauss (Sohn) – Egyptischer Marsch; op. 335

Als Strauss in den Sommermonaten von 1869 wieder im Russischen Pawlowsk weilte, schrieb er diesen interessanten Marsch, der vom Publikum ausserordentlich gut angenommen wurde. Strauss benannte seinen „Egyptischen Marsch“ (sic!) für das Folgekonzert in „Tscherkessen-Marsch“ um. Auch in Wien wurde das Stück erst mit diesem Namen verlegt, später dann aber wieder zum Originalnamen zurückgeführt. Grund war mit Sicherheit die Eröffnung des Suezkanals, und da die Strauss-Brüder ihre Werke ja oft mit wichtigen Ereignissen in Verbindung brachten, bot sich der Name „Egyptischer Marsch“ natürlich wieder bestens an – gescheites „Marketing“ halt.

15. Joseph Hellmesberger (Jun.) – Entr’acte Valse

Mit den Hellmesbergers haben sie’s wirklich in den letzten Jahren. Die Entr’acte-Valse ist ein weitgehend vergessenes Stück, das vermutlich seit Jahrzehnten nie mehr in einem grösseren Rahmen aufgeführt worden ist. Es taucht einizig in einigen wenigen Programmen aus dem frühen 20. Jahrhundert auf – vornehmlich in Amerika. Das Werk trägt keine Opusnummer. Man kann gespannt sein, wie die Philharmoniker diese Perle mit höchstem Seltenheitswert interpretieren.

16. Johann Strauss (Sohn) – Lob der Frauen; Mazurka op. 315

Für das „schwache Geschlecht“ hatte der Schani sehr viel übrig, was sich auch in mehreren Kompositionen niederschlug. Mit dieser Mazurka als Widmung an die Frau wollte er das Volk aus einer Lethargie holen, welche sich durch politische Unruhen und Spannungen breit gemacht hatte. Die bittere Niederlage der Donaumonarchie nach der Schlacht bei Königgrätz lag noch nicht lange zurück. Strauss schaffte die Aufheiterung erwartungsgemäss am Konzert im Volksgarten vom 17. Februar 1867. Das Publikum war  hingerissen von dieser gemütlichen Mazur.

17. Josef Strauss – Sphärenklänge; Walzer op. 235

Dieser fantastische Konzertwalzer, der einer von Pepis grössten Würfen geworden ist, war ursprünglich eine übliche Widmungskomposition – und zwar für den Medizinerball anno 1868 in den Sofiensälen, wo Strauss denn auch als Balldirektor fungierte. Zu recht gilt der Walzer als eines der grossartigsten Tongedichte der Wiener U-Musik. Die Kritiken nach der Uraufführungen waren hervorragend, was die Musik betrifft. Moniert wurde hingegen der Titel, welcher nach Auffassung der Kritiker der Güte der Musik nicht gerecht werde… Wir sehen das anders: Der Walzer ist so bezaubernd schön, dass er die Hörerschaft in andere Sphären hebt. Ein Stück, das im Programm eines Neujahrskonzertes nie eine falsche Wahl sein kann. Mit den „Sphärenklängen“ verklingt das offizielle Programm 2019.

Angekündigte Zugabe: Johann Strauss (Sohn) – Im Sturmschritt; Polka op. 348

Eine Melodie, welche vielen vertraut vorkommen dürfte: „Im Sturmschritt“ ist eine gerne aufgeführte Komposition, die durch und durch gute Laune macht. Strauss verarbeitete einiges von der Musik aus seiner Operette „Indigo und die 40 Räuber“ zu Konzertstücken. Bei dieser Polka dürfte er sich von der Rasanz von Jacques Offenbachs „Can can“ inspiriert haben lassen. Die Wiener Uraufführung erfolgte an einem Mai-Konzert im Jahre 1871 im Volksgarten.


Wie es Tradition ist, endet auch das Neujahrskonzert 2019 mit „An der schönen blauen Donau“ und dem Radetzky-Marsch – Letzterer wie immer im Bierzelt-Modus.


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