Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 2024

Das Programm

Der Wiener Musikverein

Christian Thielemann dirigiert das Neujahrskonzert 2024 in Wien. Er steht nach seinem Debut 2019 zum zweiten Mal für diesen Traditionsanlass am Dirigentenpult im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins. Thielemann ist sei 2012 Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Er übernimmt 2024 das Amt des Generalmusikdirektors der Berliner Staatsoper – als Nachfolger von Daniel Barenboim.

Auffallend an diesem Programm ist die Rückkehr zu Johann Strauss Sohn als Schwerpunkt, war es im vergangenen Jahr dessen Bruder Josef. Die „gute Nachricht“ dabei: Es stehen eher seltenere Kompositionen des Walzerkönigs an – nur „Wiener Bonbons“ ist ein grosser Konzertwalzer, den man öfter hört. Speziell ist vor allem der Ischler Walzer, ein kaum bekanntes, erst posthum präsentiertes Stück. Johanns jüngster Bruder Eduard kommt diesmal doppelt zu Ehren: einmal mit einer für ihn typischen Schnellpolka, und einmal im Dreiviertaltakt – wiederum kein Walzer zwar, dafür eine Mazurka.

Besondere Erwähnung finden neben zwei selten gespielten Werken von Josef Hellmesberger Jun. sowie des Eröffnungsmarsches von Karl Komzák ein Stück des dänischen Autodidakten Hans Christian Lumbye und einer der bekanntesten Walzer Carl Michael Ziehrers – der (leider) 2012 schon mal auf dem Programm war. Themenschwerpunkt des Pausenfilms ist der österreichische Komponist Anton Bruckner (1824-1896), welcher 2024 seinen 200. Geburtstag feiert. Ihm zu Ehren wird eine Quadrille gespielt.

Alles in allem ein interessantes, abwechslungsreiches Programm, das von den häufig vorgetragenen Strauss-Walzern weitgehend absieht und dafür einmal mehr Unbekanntem und Neuem Platz macht. Insgesamt sind es respektable neun Erstaufführungen im Rahmen des Neujahrskonzerts. Ein Wermutstropfen am Ganzen: Wiederholt ist Josef Lanner im Programm nicht vertreten.

Es werden gespielt:

1. Karl Komzák – Erzherzog Albrecht-Marsch; op.136

planet-vienna, erzherzog albrecht denkmal in wien
Erzherzog Albrecht, Reiterstandbild vor der Albertina

Ein festlich-zackiger Auftakt mit einem der bekanntesten österreichischen Märsche des 19. Jh. Komzák hat die Komposition Erzherzog Albrecht von Österreich-Teschen (1817-1895) gewidmet, verdienter Feldmarschall und Generalinspektor der österreichisch-ungarischen Armee. Er trug die höchsten Orden der Habsburger und galt zu Lebzeiten als bedeutendster Vertreter der konservativen monarchischen Politik. Den grössten Ruhm erlangte der Erzherzog durch seinen Sieg gegen die Italiener bei Custozza. Sein Reiterstandbild befindet sich vor der Albertina. Der Marsch wurde von den Deutschen häufig gespielt während der beiden Weltkriege.

2. Johann Strauss Sohn – Wiener Bonbons; Walzer op.307

Für den traditionellen Faschingsball der Industriegesellschaft vom 28. Januar 1866 in den Redoutensälen der Hofburg wurde von der Strauss-Familie wie jedes Jahr eine Widmungskomposition erwartet. Diese Aufgabe übernahm Josef Strauss und schrieb dafür den Walzer „Deutsche Grüsse“. Doch auch Johann hatte ein neues Werk in Petto, welches im Rahmen des Balls uraufgeführt werden sollte. Seine „Wiener Bonbons“ galten allerdings nicht der Industriegesellschaft, sondern Fürstin Pauline Metternich, ihrerzeit eine der einflussreichstn Gesellschafterinnen Wiens und Ehefrau Richard Klemens von Metternichs, damals Botschafter in Paris. Strauss erhoffte sich dadurch die Gunst und Unterstützung der Widmungsträgerin für eine angedachte Konzertreise in die französische Hauptstadt, wo 1867 die Weltausstellung stattfinden sollte. „Wiener Bonbons“ schlug wie eine Bombe ein und übertraf an diesem Ball alles andere an Popularität. Noch heute ist der melodien- und sehr kontrastreiche Walzer einer der häufig gespielten Johann Strauss‘.

3. Johann Strauss Sohn – Figaro-Polka; op.320

Diese recht einfache, aber reizende Polka schliesst kontextuell an „Wiener Bonbons“ an. Strauss‘ geplante Paris-Reise kam zustande. Doch liess der erhoffte Erfolg seiner Konzerte auf sich warten. Ein Glück für Strauss, dass er Bekanntschaft machte mit Hypolite Auguste Delaunay de Villemessant, Chefredakteur der einflussreichen Zetiung „Le Figaro“. Dieser half Strauss, die Konzerte medial zu bewerben. Es wirkte: Strauss‘ Gastspiele in Paris erhielten endlich den erhofften Zulauf. Als Dank komponierte Strauss die Figaro-Polka und widmete sie seinem Unterstützer. Die Uraufführung erfolge noch in Paris. In Wien wurde das neue Werk am 19. Jänner 1868 erstmals präsentiert.

4. Josef Hellmesberger Jun. – Für die ganze Welt; Walzer

Von Josef Hellmesberger kennt man bislang vornehmlich Charakterstücke und Polkas, nicht aber Konzertwalzer wie dieser, welcher musikalisch einen deutlichen Kontrast zu den Strauss-Walzern darstellt. Denn man erkennt darin bereits die Kompositionsweise der Post-Strauss-Generation, zu der Vertreter wie Oscar Straus, Franz Lehár oder der deutsche Paul Lincke gehören. Man erlebt hier erstmals eine ganz neue Seite des Hellmesberger-Sohns. Der Walzer punktet mit einem wogenden Hauptthema und zahlreichen romantischen, sehr schwelgerischen Passagen.

5. Eduard Strauss – Ohne Bremse; Polka op.238

Die rasante Polka ist eine für Eduard Strauss sehr typische Komposition und eine von mehreren, die bereits mit ihrem Titel ein hohes Tempo ankündigen. Komponiert hatte er sie für den Eisenbahnerball im Musikvereinssaal im Jahre 1885. Die Polka stand am Neujahrkonzert von 2007 zum letzten Mal auf dem Programm.


PAUSE

(24-minütiger Pausenfilm von Felix Breisach anlässlich des 200. Geburtstages Anton Bruckners: Zwei Sängerknaben vom Stift St. Florian bei Linz machen sich auf die Suche nach den Spuren des Komponisten zwischen dessen Wirkungsorten)


6. Johann Strauss Sohn – „Waldmeister“-Ouverture

Mit der Ouverture zu der heute kaum mehr aufgeführten Strauss-Operette „Waldmeister“ beginnt der zweite Konzertteil. Einige konzertante Nummern aus dem Bühnenwerk, welches am 4. Dezember 1895 im Theater an der Wien aufgeführt worden ist, werden heute noch gespielt – darunter die Ouverture oder der Walzer „Trau, schau wem!“ –, denn die Musik hat das Publikum weit mehr überzeugt als das Libretto sprich die Handlung der Operette. Diese beinhaltet typische Verwechslungen und Betrügereien, ähnlich wie „Die Fledermaus„. Bei Waldmeister spielt die gleichnamige Bowle schliesslich eine entscheidende Rolle, dass am Schluss alle wieder glücklich und zufrieden sind. Die Ouverture ist einmal mehr ein anschauliches Beispiel für das hoch ausgereifte kompositorische Handwerk des gealterten Komponisten.

7. Johann Strauss Sohn – Ischler Walzer; posthum Nr.2

Die Kaiservilla (o.) und das Marmorschlössl in Bad Ischl

Bei diesem Stück handelt es sich um eine Besonderheit im Strauss-Oeuvre. Es ist einer von vier Walzern aus der Feder von Johann Strauss, die zu seinen Lebzeiten unaufgeführt gelieben sind. Erst nach dem Ableben des Komponisten hat man die handschriftlichen Partituren aufgearbeitet. Die Uraufführung des Ischler Walzers fand am 18. November 1900 im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins statt. Dirigent war kein geringer als Karl Komzák. Der Walzer ist eine Hommage an den Kurort Ischl im Salzkammergut, wo die Kaiserfamilie und somit auch viele weitere Wiener mit Rang und Namen – darunter Johann Strauss – oft die Sommerwochen verbrachten. Zu diesem Walzer wird die erste Ballettinszenierung eingespielt. Sie ist in der Bad Ischler Kaiservilla und im benachbarten Marmorschlössl abgedreht worden. Choreograf Davide Bombana zeichnet erneut verantwortlich für die Ballett-Einlagen.

8. Johann Strauss Sohn – Nachtigall-Polka; op.222

Strauss schrieb diese liebliche Polka, die lautmalerisch den Gesang der Nachtigall aufgreift, im Frühjahr 1859 und führte sie im Mai selben Jahres persönlich im Rahmen eines Abschiedskonzertes in Ungers Casino auf. Einmal mehr machte sich der Komponist auf nach Pawlowsk bei St. Petersburg, wo er seit 1855 auf Einladung der russischen Eisenbahngesellschaft jährlich residierte, komponierte und konzertierte. Die Nachtigall-Polka nahm Strauss in diesem Sommer mit nach Pawlowsk, wo die genau so gut angenommen wurde wie in Wien.

9. Eduard Strauss – Die Hochquelle; Mazurka op.114

planet-vienna, Der Hochstrahlbrunnen am Schwarzenbergplatz
Der Hochstrahlbrunnen am Schwarzenbergplatz

Vom 1. Mai bis 2. November war Wien der Austragungsort der fünften Weltausstellung, ein Grossanlass mit enormer Ausstrahlung, so dass sich die Wiener Prominenz entsprechend in Szene zu setzen suchte. So auch die Komponisten. Für ihre Auftritte an der Weltausstellung schrieben die Strauss-Brüder eigens mehrere Neuheiten. Auch Johann und Eduard Strauss. Zehn Tage vor Ende der Weltausstellung fand in Wien ein weiteres wichtiges Ereignis statt – kleiner zwar in Umfang, jedoch umso grösser in seiner Bedeutung für die Stadt: Am 24. Oktober 1873 wurde der Hochstrahlbrunnen am Schwarzenbergplatz feierlich in Betrieb genommen, als Zeichen der Fertigstellung der ersten Wiener Hochquellenwasserleitung, welche die Stadt mit sauberem Trinkwasser aus den nahen Bergen versorgt. Zu diesem Anlass komponierte Eduard Strauss diese Mazurka. Allerdings wurde sie erst am 9. Februar 1874 der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Mazurka „plätschert“ gemächlich dahin, eher wenig spektakulär und ohne nennswerten Höhepunkte. Sie schien sich nicht lange im Strauss’schen Repertoire gehalten zu haben. Schön, dass sie hier in diesem Rahmen neu „aufersteht“.

10. Johann Strauss Sohn – Neue Pizzicato-Polka; op. 449

1869 schrieb Johann Strauss gemeinsam mit seinem Bruder eine Pizzicato-Polka, welche für die Uraufführung im russischen Pawlowsk vorgesehen war. 23 Jahre später komponierte Johann eine weitere Pizzicato-Polka, diesmal für seinen Bruder Eduard, welcher sich im Frühjahr 1892 auf eine Reise nach Hamburg machte. Er sollte sie dort der Öffentlichkeit präsentieren. Wo und ob Eduard sie gespielt hat, ist nicht verbürgt. In Wien erklang sie erstmals am 10. Jänner 1895 als Teil von Johann Strauss‘ heute vergessener Operette „Fürstin Ninetta“. Die „Neue Pizzicato-Polka“ hat ihre grosse Popularität bis heute behalten können.

11. Josef Hellmesberger Jun. – Estudiantina-Polka aus „Die Perle von Iberien

„Die Perle von Iberien“ ist ein Ballett in drei Bildern. Es wurde 1902 im k.k. Hofoperntheater, nachmals Staatsoper, uraufgeführt. Die so genannte „Estudiantina-Polka“ dient im Bühnenstück nach Paquitas Muschelfahrt als Entr’acte am Übergang vom zweiten zum dritten Bild. Die launige, kurze und verspielte Polka ist mehrheitlich als Pizzicato arrangiert und funigert auch in diesem Neujahrskonzert als hübsches Zwischenstück, die kommende grosse Nummer einleitend.

12. Carl Michael Ziehrer – Wiener Bürger; Walzer op.419

Schade, eine vergebene Chance: Vom schaffenskräftigen Ziehrer existieren so viele bezaubernde Konzertwalzer, die einer Aufführung am Neujahrskonzert würdig sind. Nun wird auf op.419 zurückgegriffen, welches 2012 bereits im Programm war. Warum? Das wissen wohl nur die Verantwortlichen. Na, sei’s drum, Hauptsache, der grosse Meister der wirklich wienerischen Wiener Musik kommt erneut zu Ehren. „Wiener Bürger“ ist hinsichtlich Eröffnung des grossen Festsaales im neu errichteten Wiener Rathaus am 12. Februar 1890 Entstanden. Es war ein grosser Benefiz-Ball für die Armen der Stadt. Blumenpracht schmückte den monumentalen Neubau. Es waren zwei Orchester vor Ort: Auf der einen Seite Eduard Strauss mit seinem Hofballorchester, auf der anderen Ziehrer mit seinem Hoch- und Deutschmeister-Orchester. Das erste Stück an jenem Anlass waren die „Rathausballtänze“ von Johann Strauss, und Eduard steuerte seine neue Polka „Das tanzende Wien“ bei. An diesem Anlass zeigte sich, dass Ziehrers Effort denjenigen der Strauss-Brüder übertraf: Der opulente Walzer „Wiener Bürger“ überstieg den Erfolg der Strauss-Dedikationen. Ziehrer wartete darin zudem mit einer Neuerung auf in der damaligen Art zu komponieren: Trompetensignale stehen symbolisch für das An- und Abtreten der Bürgerwache. Zu diesem Walzer wird die zweite Ballett-Inszenierung eingespielt. Sie ist auf Schloss Rosenburg im Waldviertel gedreht worden.

13. Anton Bruckner – Quadrille, WAB 121

planet-vienna, anton bruckner denkmal im stadtpark von wien
Bruckner-Denkmal im Wiener Stadtpark

Dass Anton Bruckner im Programm des Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker Einzug erhält, ist mit dessen 200. Geburtstag begründet. Der österreichiche Organist und Komponist der Romantik nimmt in der Musikgeschichte des 19. Jh. einen der wichtigsten Plätze ein. Die hier präsentierte Quadrille ist von Bruckner um ca. 1854 als Klavierstück zu vier Händen geschrieben worden für eine gewisse Marie Ruckensteiner. Es ist eine Zusammensetzung von sechs kleinen Einzelstücken. Für die Aufführung durch die Wiener Philharmoniker ist die Quadrille eigens von Wolfgang Dörner für Orchester arrangiert worden. Stilistisch lässt sich dem Werk durchaus Wienerisches abgewinnen, es erinnert an Schubert.

14. Hans Christian Lumbye – Glædeligt Nytaar; Galopp

Es ist eine Freude, dass der ausserhalb Dänemark lange vergessene Komponist heuer wieder zum Zuge kommt. Erst mit seiner wiederholten Präsenz an den Neujahrskonzerten, zB. 2010 mit seiner Champagner-Galoppe, ist der Däne international wieder ein wenig ins Bewusstsein geraten. Seine Kompositionen zeichnen sich oft durch Einfachheit und wenig aufwendige Instrumentierung aus, was jedoch nicht heissen muss, dass die Wirkung verfehlt wird – im Gegenteil. Lumbye erzielt damit oft überraschende Effekte, welche den Liebreiz seiner Musik erst richtig transportieren. Die hier angepriesene, hübsche kleine Galoppe heisst übersetzt ganz simpel „Frohes neues Jahr“. Wie passend…

15. Josef Strauss – Delirien; Walzer op.212

Der Delirien-Walzer gehört zu Josef Strauss‘ populärsten und sicher stimmungsvollsten Kompositionen, meisterlich angelegt mit vielen harmonischen Höhepunkten. Josef „Pepi“ Strauss schrieb das Meisterwerk für die Karnevalssaison von 1867. Die Stimmung in Wien war allerdings sehr gedrückt seit der bitteren Niederlage gegen die Preussen bei Königgrätz im Jahr zuvor. Ein Ende der Habsburgermonarchie war noch nie so nah. Dennoch fand der grosse Medizinerball am 22. Januar, für den Josef den Walzer geschrieben hat, statt. Josef Strauss‘ Uraufführung seiner „Delirien“ an diesem Tag fand entsprechend Anklang, gibt seine „fiebertraumhafte“ Atmosphäre in der Tonalität doch die Stimmung der Menschen wieder und lässt sie zugleich Hoffnung schöpfen.

16. Zugabe: Josef Strauss – Jockey Polka, Polka op.278

Die kurze rasante Polka bringt Stimmung in den Saal. Sie widerspiegelt Pepis Liebe zum Pferdesport. Die Uraufführung fand am 17. Februar 1870 in den Blumensälen der Gartenbaugesellschaft statt – mit riesigem Erfolg.

Zum Abschluss – nach dem traditionellen Neujahrsgruss – folgen wie immer der Donauwalzer von Strauss Sohn und der Radetzky-Marsch von Strauss Vater. Das Neujahrskonzert 2025 wird von Ricardo Muti dirigert – es ist bereits sein siebtes Mal.


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3 Gedanken zu „Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 2024“

  1. Vielen Dank, wie jedes Jahr, für den tollen Kommentar! Nur eine Anmerkung: „Ohne Bremse“ wurde zuletzt beim Neujahrskonzert 2007 aufgeführt, nicht 2009

  2. Oh!
    Wieder vielen Dank für das Programm und die Kommentierung – bester Service!!!
    Wie immer schöne Grüße aus München!

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