Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 2014

Programm


Erneut schaut die ganze Welt auf Wien und das Geschehen im goldenen Saal des Musikvereins: Für das Neujahrskonzert 2014 haben sich die Wiener Philharmoniker Daniel Barenboim an Land gezogen, der somit zum „Wiederholungstäter“ wird. Bereits 2009 hat der 71-jährige Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper unter den Linden und Musikdirektor der Mailänder Scala das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker dirigert. Die Werkwahl ist erneut recht einfallsreich und sieht von Gassenhauern weitgehend ab. Das einzige, was ich vermisse, ist ein Beitrag von Carl Michael Ziehrer. Ansonsten: Man darf sich freuen.


Am Neujahrskonzert 2014 werden gespielt:

1. Eduard Strauss – Helenen Quadrille; op.14 … Festlich und belebt eröffnet das Konzert mit dieser selten gehörten, 1865 uraufgeführten Komposition des „schönen Edi“. Mit viel Paukenschlag und Melodienreichtum knüpft Eduard Strauss hier ein Bouquet bekannter Motive aus Jacques Offenbachs Operette „Die schöne Helena„. 1865 erfolgte im Theater an der Wien die Wiener Erstaufführung der Operette mit der legendären Marie Geistinger in der Hauptrolle. Der Erfolg war bombastisch. Die Strauss-Brüder machten sich bevorzugt angekündigte Bühnen-Aufführungen ausländischer Komponisten zunutze, um Quadrillen aus deren Motiven zu schaffen. Eine schöne Wahl für den Einstieg. Allein, weil dadurch dem Edi, der unter den Sträussen am wenigsten Beachtung erhalten hat, gebührend Ehre zuteil wird.

2. Josef Strauss – Friedenspalmen; Walzer op.207 … Ein weiteres Stück mit Seltenheitswert. Geheimnisvoll und überaus harmonisch erhebt sich das Intro dieses Walzers wie aus dem Nichts. Er gehört nicht unbedingt zu Josefs Geniestreichen, überzeugt aber dennoch mit hinreissenden Passagen. Dass der Walzer weitgehend frei von Festlichkeit ist, hat seine Gründe: Josef Strauss hat ihn im Herbst 1866 komponiert, kurz nachdem die Donaumonarchie einschneidende Kriegsniederlagen erlitten hatte und das Volk somit alles andere als in Festlaune war. Der Titel „Friedenspalmen“ wird also selbsterklärend. Im Rahmen eines Benefizkonzerts im Volksgarten am 18. November 1866 wurde der Walzer erstmals aufgeführt.

3. Johann Strauss Vater – Carolinen Galopp; op.21a … Wir reisen zurück ins Biedermeier. Diese frühe Komposition von Strauss-Vater versprüht Frohgemüt. Ich freue mich sehr über diese heute so gut wie vergessene Perle. Ende November 1827 wurde diese Galoppe in der Wiener Zeitung angekündigt. Das genaue Datum der Uraufführung ist nicht überliefert. Es dürfte im Etablissement zu den „Zwey Tauben“ gewesen sein. Das Lokal lag am Ende der damaligen Carolinen-Brücke über den Wienfluss. Somit  erklärt sich die Bezeichnung. Die Kettenbrücke-Galoppe trägt die Opus-Nummer 21b. Sie wurde kurz später in ähnlicher Manier komponiert und ist ebenfalls ein Tribut an eine ehemalige Brücke über den Wienfluss.

4. Johann Strauss Jun. – Ägyptischer Marsch; op.335 … Johann Strauss Sohn ist heuer stärker vertreten als in den vergangenen Jahren. Sein Debut an diesem Konzert gibt er mit einem wohlbekannten und originellen Charakterstück. Den „Egyptischen Marsch“ hat er 1869 während seines Aufenthalts im Russischen Pawlowsk geschrieben. Unter dem Zweit-Titel „Tscherkessen-Marsch“ gelangte das Stück nach Wien, wurde da dann aber doch mit der ursprünglichen Bezeichnung versehen. Passend eh, da am 16. November selben Jahres der Suez-Kanal eröffnet wurde.

5. Johann Strauss Jun. – Seid umschlungen, Millionen; Walzer op.443 … Weiter gehts mit einem ebenfalls recht populären Walzer des Walzerkönigs mit einem atemberaubenden Hauptthema. Von Friedrich Schillers „Ode an die Freude“ liess sich Strauss leiten bei der Namensgebung. Gewidmet ist der späte Strauss-Walzer keinem Geringeren als Johannes Brahms. Uraufgeführt wurde der Walzer im März 1892 im Übrigen genau da, wo er am Neujahrskonzert 2014 gespielt wird, im Musikverein.

6. Johann Strauss Jun. – Stürmisch in Lieb‘ und Tanz; Polka op.393 … Sehr schnell ist diese berühmte Polka und steckt doch voller Leidenschaft. Strauss hat sie für den Concordia-Ball vom 22. Februar 1881 in den Sofiensälen geschrieben. Der Concordia-Ball war der jährliche Ball der Wiener Autoren und Journalisten. Dirigiert hat nicht der Komponist selbst, sondern sein Bruder Eduard. Die Polka beinhaltet Melodien aus der Operette „Das Spitzentuch der Königin„.

—— PAUSE ——

7. Johann Strauss Jun. – Ouvertüre „Waldmeister“ … Strauss war bereits im fortgeschrittenen Alter, als er sich an die Komposition der Operette „Waldmeister“ machte. Die Operette wird heute höchst selten mehr aufgeführt, dafür die Ouvertüre umso öfter. Es ist ein vor Einfallsreichtum nur so jugendlich frisch sprudelndes Werk, wie man es dem 70-Jährigen Strauss nicht mehr zugetraut hätte. Das Hauptthema ist der Walzer „Trau, schau, wem“. Am 4. Dezember 1895 im Musikverein konzertant aufgeführt, erntete Strauss grossen Applaus für seine Ouvertüre. Ein weiteres Motiv darin ist übrigens die Polka zur Librettostelle „Klipp Klapp“, die sich auf eine sich im Gange befindende Mühle zu Beginn der Operette bezieht. Strauss erinnerte sich an eine Melodie, welche ihm in Jugendjahren zu einem ähnlichen Szenario eingefallen war. Er integrierte sie in die Ouvertüre. Im Nachhinein komponierte Strauss aus diesem Motiv ein eigenständiges Stück: Die „Klipp Klapp- Galoppe“, die jetzt gleich folgt.

8. Johann Strauss Jun. – Klipp Klapp; Galopp op.466 … Am 10. Februar 1896, mitten in der Karnevalszeit, führte Strauss dieses spritzige „Waldmeister-Extrakt“ am Concordia-Ball in den Sofiensälen erstmals auf. Noch im selben Monat war die Polka Teil der berühmten Sonntagskonzerte im Musikverein.

9. Johann Strauss Jun. – Geschichten aus dem Wiener Wald; Walzer op.325 … Einer der berühmtesten Konzertwalzer der Musikgeschichte und mein persönlicher Lieblings-Strauss-Walzer. Dieses Meisterwerk kann man nicht oft genug spielen und hören, weshalb ich mich riesig freue, es auf dem Programm zu sehen. Eine TV-Einspielung führt die Zuschauer in den Wienerwald und ins Stift Klosterneuburg. Näheres zu diesem überwältigenden Walzer gibt es hier.

10. Joseph Hellmesberger Jun. – Vielliebchen, Polka op.1 … Hellmesberger kommt wiederholt zum Zug. Das ist schön, denn er (und ebenso sein Vater) ist einer der weniger bekannten Wiener. „Vielliebchen“ ist eine reizende kleine Polka mit durch und durch wienerischem Charakter und zarten Melodienfolgen. Ein entspanntes Intermezzo.

11. Josef Strauss – Bouquet; Polka op.188 … Eine ziemlich unbekannte Trouvaille vom Pepi und eine schöne Wahl. Als die Gartenbaugesellschaft am Stubenring ihr eigenes Festgebäude, die Blumensäle, feierlich eröffnete, steuerte Josef Strauss für die Einweihungsfestivitäten am 26. Dezember 1864 diese liebliche Polka bei. Die Blumensäle sind Geschichte, diese Polka hingegen lebt hiermit erneut auf.

12. Richard Strauss – „Capriccio“ (Mondscheinmusik) … Dies wirkt wie ein Fremdkörper – musikalisch und konzeptuell. Wir werden spätestens am Konzert erfahren, warum die Wahl auf dieses Werk von Richard Strauss fiel. Dieser Titan ernster Musik will hier so gar nicht reinpassen. Strauss‘ Oper „Capriccio“ wurde am 28. Oktober 1942 an der Münchner Oper uraufgeführt. Die tonmalerisch ausdrucksvolle, und bewegend-dramatische „Mondscheinmusik“ ist Teil des Finales der Oper. Als Richard Strauss am 13. Juli 1949 zum letzten Mal am Pult stand, dirigierte er die Mondscheinmusik. Einfach ein Tribut an den genialen Deutschen? Ich bin gespannt.

13. Joseph Lanner – Die Romantiker; Walzer op.167 … Freude herrscht! Der in meinen Augen grösste aller Wiener Komponisten des 19. Jahrhunderts ist auch heuer wieder vertreten. Diesmal mit einem seiner bekanntesten Walzern – dieser ist wahrlich eine vertonte Allegorie der Schönheit. Das Wiener Staatsballett tanzt dazu in den Prunkräumen des Stadtpalais Liechtenstein. Die Uraufführung des Walzers erfolgte Aufzeichnungen zufolge am Theresien-Fest-Ball in der „Goldenen Birn“ am 14. Oktober 1840. Wenige Tage später erklang der Walzer auch im „Grossen Zeisig“. Weitere Aufführungen in den Redoutensälen und in Baden bei Wien weisen darauf hin, dass „Die Romantiker“ mit grösster Begeisterung aufgenommen worden sein muss. Der Walzer gehört auch heute noch zu den meistgespielten des Walzervaters Lanner, der meiner Meinung nach der begnadetste Wiener Komponist und Musiker der letzten 200 Jahre ist.

14. Josef Strauss – Neckerei; Mazurka op.262 … Gemütlich und trotzdem beschwingt fliesst diese liebliche Mazurka dahin. Sie trägt Pepis deutliche Handschrift. „Neckerei“ war eine von zahlreichen Novitäten am Strauss-Benefiz-Ball in den Blumensälen am 8. Februar 1869. In der Fülle an elektrisierenden Neuheiten an jenem Abend schien „Neckerei“ jedoch untergegangen zu sein oder einfach wenig Beachtung gefunden zu haben. Darum lebt sie hiermit umso mehr auf und erhält die Aufmerksamkeit, die ihr gebührt. Sehr schön.

15. Josef Strauss – Schabernack; Polka op.98 … Trotz seines von Krankheit und zuweilen Schwermut geprägten Lebens behielt Josef Strauss stets Fröhlichkeit. Dies zeigt sich mit dieser Polka, die themenmässig der Vorherigen Mazurka anschliesst. Einer Zeitungsannonce zufolge erklang die Polka an einem Volksgartenkonzert am 3. Februar 1861. Sie fand grossen Zuspruch und gehörte zu den bedeutendsten Kompositionen der Gebrüder Strauss des Jahres 1861. Heute ist sie jedoch fast vergessen. Jetzt erfährt sie ein wahres Revival.

16. Léo Delibes – Musik aus dem Ballett „Sylvia ou La Nymphe de Diane“ … Hiermit kommen wir zum zweiten „Exoten“ am diesjährigen Neujahrskonzert. Ich persönlich halte Léo Delibes allerdings sehr hoch, hatte der Herr doch ein ausgeprägtes Faible für besonders hinreissende und effektvolle Melodien, die mit den Wiener Weisen zuweilen eng verwandt sind. Vor allem beim Walzer in seinen Balletten legte der Komponist einen ungeheuren Einfallsreichtum zutage. Aus „Sylvia“ hat besonders die Pizzicato grosse Berühmtheit erlangt und ist heute in zahlreichen Kontexten in Film und Werbung zu hören. Warum die Wahl auf Delibes gefallen ist, werden wir ebenfalls spätestens am Konzert erfahren. Das Wiener Staatsballett tanzt dazu erneut im Stadtpalais Liechtenstein, diesmal im Stiegenhaus.

17. Josef Strauss – Dynamiden (Geheime Anziehungskräfte); Walzer op.173 … Der Pepi ist auch recht stark vertreten dieses Jahr. Hier haben wir eine seiner hinreissendsten und gelungendsten Walzerkompositionen. Die tondichterische Klangmalerei, die er hier zaubert, verschafft einem wahre Gänsehaut. Das beginnt beim Intro und setzt sich intensiviert beim Hauptthema fort. Getragen auf Walzerwogen wähnt man sich in einem träumerischen Klanggebilde, wie es fast nur ein Josef Strauss kreieren vermag. Physikalisch gesehen bezeichnen Dynamiden in etwa die Bausteine, aus denen ein Atom besteht. Der Zusammenhang zwischen dieser physikalischen Erklärung und dem Alternativtitel „Geheime Anziehungskräfte“ geht wohl auf eine Interpretation des Komponisten zurück. Die Atomphysik dürfte auf Josef Strauss als gelernter Ingenieur nach wie vor eine grosse Faszination ausgeübt haben. Jedenfalls ist der Dynamiden-Walzer eines der schönsten und exklusivsten Werke, die Josef Strauss geschrieben hat. Es war das Widmungswerk für den Industriellenball in den Redoutensälen der Hofburg und wurde da am 30. Januar 1865 uraufgeführt.

18. Josef Strauss – Ohne Sorgen; Polka op.271 … Und erneut kommt die Lebenslust Josefs zum Ausdruck, obwohl diese Polka entstanden ist, als der Komponist bereits schwer mit seiner Gesundheit zu kämpfen hatte. Josef Strauss komponierte diese Polka während eines Aufenthaltes mit seinem Bruder Johann im russischen Pawlowsk im Sommer 1869. Das Stück wird auch heute noch oft gespielt.

19. Josef Strauss – Carrière; Polka op.200 … Und gleich nochmal der Josef. Zum Schluss mit einer weiteren seltenen Perle. Die Carrière (Karriere) bezeichnet die schnellste Gangart des Pferdes, und somit ist die Polka dementsprechend ein lebendiges Werk. Die Uraufführung fand am 4. Juli 1866 im Volksgarten statt, einen Tag nach der Niederlage der österreichischen Armee bei Königgrätz.  Denkbar gedrückt war da die Stimmung der Bevölkerung, welche sich daher kaum von der Polka mitreissen liess. So konnte sich das Werk nicht halten. Jetzt wird auch dieses wieder zum Leben erweckt.

20. Johann Strauss Jun. – An der schönen blauen Donau, Walzer op.314 … traditionell zum Schluss des Neujahrskonzerts erklingt der Walzer aller Walzer. Informationen hier.

21. Johann Strauss Vater – Radetzky-Marsch, op.228 … Und wie gewohnt besiegelt der zackgie Marsch das alljährliche Spektakel.


Die Balletteinlage für den Walzer „Die Romantiker“ von Joseph Lanner ist in den neu renovierten Prunkräumen des Stadtpalais Liechtenstein gedreht worden. Das Wiener Staatsballett trägt Kostüme, geschaffen von Vivienne Westwood. Deren bunte Extravaganz wird zur barocken Pracht des Palais mit Sicherheit einen eigenwilligen Kontrast schaffen. Der Pausenfilm indes verspricht, nicht mehr so ein Reinfall wie der letztjährige zu werden, der vom ganzen Österreichischen Volk voller Empörung zerrissen worden war. Diesmal gibt es einen Blick hinter die Kulissen des Neujahrskonzerts.

Am Neujahrskonzert 2015 wird übrigens wieder Zubin Metha am Dirigentenpult stehen. Bereits zum 5. Mal.


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