Programm
Das wegen Covid-19 unter besonderen Umständen und ohne Saalpublikum stattfindende Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 2021 im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins wird von keinem Geringeren dirigiert als Riccardo Muti. Bereits zum sechsten Mal steht der Italiener in Wien am Pult und eröffnet mit dem Orchester das Neue Jahr. Seit 50 Jahren arbeitet Muti eng mit den Wiener Philharmonikern zusammen. Dieses Dirigat erhält somit einen gewissen Jubiläumscharakter.
Das Programm 2021 überrascht mit überdurchschnittlich vielen Trouvaillen, welche in ihrer Zahl die populären „Gassenhauer“ sogar überwiegen. Vertreten sind diesmal mit Carl Zeller und Karl Komzák zwei hochkarätige Komponisten, welchen – nach aktuellem Wissensstand – die Ehre bislang verwehrt geblieben ist.
Am Neujahrskonzert 2021 werden gespielt:
1. Franz von Suppé – Fatinitza-Marsch
Das Programm eröffnet opulent und zackig mit einem Marsch des Pioniers der Wiener Operette. Es ist bedauerlicherweise das einzige „Überbleibsel“ seiner gleichnamigen Operette „Fatinitza„, welche anno 1876 in Wien uraufgeführt worden ist. Heute hört man kaum mehr etwas von ihr. Der wundervolle Marsch hingegen hat sich in die Gegenwart hinüberretten können.
2. Johann Strauss (Sohn) – Schallwellen; Walzer op. 148
Op. 148 gehört zu den kaum bekannten Konzertwalzern von Strauss Junior. Er hat ihn für den Technikerball 1854 geschrieben. Dieses Strauss-Frühwerk lässt noch Einflüsse von Zeitgenossen seines Vaters und auch von diesem selbst erkennen. Erst später war Strauss Juniors persönliche Handschrift ausgereift. Musikalisch und arrangementtechnisch mögen die „Schallwellen“ einen bei weitem nicht gleichermassen mitreissen wie die bekannteren Walzer Schanis, aber dass sie im Rahmen eines Neujahrskonzerts eine „Reinkarnation“ erleben, ist Grund zur Freude.
3. Johann Strauss (Sohn) – Niko-Polka; op. 228
Fünf Jahre nach den „Schallwellen“ schrieb Strauss diese flotte Polka während eines Russland-Aufenthaltes. Er holte sich die Inspiration aus einem russischen Volkslied, eine entsprechende Note haben denn auch die darin enthaltenen Harmonien. Die Polka ist nach ihrem Widmungsträger, dem Fürsten Nikolaus Dadiani von Mingrelien, benannt.
4. Josef Strauss – Ohne Sorgen; Polka op. 271
Der erste Gassenhauer im Programm 2021 und schon oft aufgeführt an den Neujahrskonzerten. Er steht mit der vorigen Nummer in thematischem Zusammenhang: Josef Strauss komponierte diese Polka während eines Aufenthaltes mit seinem Bruder Johann im russischen Pawlowsk im Sommer 1869. Josef war zu dem Zeitpunkt jedoch von seiner Krankheit gezeichnet. Die fröhlich-übermütige Polka stand demnach stark im Gegensatz zu seinem allgemeinen Befinden.
5. Carl Zeller – Grubenlichter
Jetzt schafft es auch noch der Herr Zeller in den Goldenen Saal, das war höchste zeit. Walzerarrangements von Carl Zeller sind extrem rar, ohnehin steht alles im Schatten seiner erfolgreichsten Operette „Der Vogelhändler„. Der Walzer „Grubenlichter“ basiert auf Melodien der heute weitgehend vergessenen Operette „Der Obersteiger„. Charakteristisch sind die alpenländich-ländlerhaft anmutenten Sequenzen, die vielmehr Gemütlichkeit versprühen als das Tanzbein reizen.
6. Carl Millöcker – In Saus und Braus; Galopp
Wir bleiben bei den heute vergessenen Operetten: Diese Galoppe zitiert Melodien aus Millöckers „Der Probekuss“ aus dem Jahr 1894. Auch dieses Bühnenwerk ist schon lange in der Dunkelheit der Archive verschwunden. Umso schöner, dass es in Form dieser Nummer hier wieder ein klein wenig auflebt.
PAUSE
Pausenfilm „Happy Birthday, Burgenland! 1921–2021“. Der Bundesstaat im Osten Österreichs ist das Thema des Pausenfilms, Joseph Haydn und Franz Liszt wird dabei besondere Aufmerksam zuteil.
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7. Franz von Suppé – Ouvertüre zu „Dichter und Bauer“
Von den zahlreichen Ouvertüren aus von Suppés Hand ist diese hier neben „Eine leichte Kavallerie“ zweifelsohne die bekannteste. Bis heute hat sie sich gehalten und wird im Rahmen von Konzerten gespielt. Anno 1846 in Wien uraufgeführt, wurde das geplante Bühnenstück selbst erst über ein halbes Jahrhundert, lange nach von Suppés Tod, fertiggeschrieben. Die Ouvertüre besteht sowohl aus lieblich-ruhigen wie auch aus zackigen, flotten Themen. Eine gute Wahl für die Eröffnung des zweiten Programmteils.
8. Karl Komzák – Bad’ner Mad’ln; Walzer op. 257
Mit Karl Komzák II. kommt heuer ein weiterer Meister der Wiener Musik zum Zuge, dem das Neujahrskonzert bislang zu Unrecht „verwehrt“ war. Viele von Komzáks Walzern sind wienerischer als die Strauss’schen. Dazu zählt auch op. 257, sein bekanntester. Die Uraufführung erlebte dieser fantastische Konzertwalzer an einem Benefitzkonzert am 30. Juli 1898 im Badener Kurpark. Das Werk fand riesigen Anklang. Bereits die durchdachte Einleitung weckt alle Aufmerksamkeit, beginnend mit Trommelmusik, welche aus dem Nichts hervorzutreten scheint, immer lauter wird, vorerst in fröhliche Marschmusik übergeht und ihren Höhepunkt in einem Fortissimo findet. Es folgt der Übergang in eine leise Melodie im Walzertakt worauf nochmal die Marschmusik auflebt, bevor die Einleitung zuende ist und kraftvoll das erste Walzerthema ertönt mit seinen mächtigen Akkorden. Der Walzer dürfte an diesem Konzert grosse Aufmerksamkeit erregen. Eingespielt werden Bilder aus Baden bei Wien, auf das sich die Komposition bezieht.
9. Josef Strauss – Margherita-Polka; op. 244
Wieder eine seltene Perle: Gewidmet ist diese liebliche, aber unaufgeregte Polka Prinzessin Margherita von Genua, welche am 22. April 1868 Prinz Umberto von Italien geheiratet hat. Josef Strauss hat wohl keine Möglichkeit gefunden, dem neuen Paar seine Polka vorzuführen, weshalb er ein Konzert in den Blumensälen der Gartenbaugesellschaft am 13. Juni wählte, um die Polka dem Publikum zu präsentieren. Es dauerte jedoch nicht lange, bis die Komposition wieder aus dem Programm fiel. Jetzt, über 150 Jahre später, kommt sie im grossen Rahmen wieder zu Ehren. Zu diesem Stück tanzen Solistinnen und Solisten des Wiener Staatsballetts in den Räumen des Looshauses.
10. Johann Strauss Vater – Venetianer-Galopp; op. 74
1833 hat Strauss Vater ein Venedig-Fest im Augarten gegeben. Der Andrang war so gross, dass er es im Sommer 1834 wiederholt und in diesem Rahmen die Venetianer-Galoppe beigesteuert hat. Das lebhafte, wenn auch arrangementmässig wenig spektakuläre Stück mit reichem Castagnetten-Einsatz kam sehr gut an. Strauss‘ Verleger Haslinger publizierte im Anschluss eine Piano- und eine Orchester-Partitur. Langanhaltende Popularität war der Venetianer-Galoppe jedoch nicht beschieden. Darum: eine weitere Trouvaille.
11. Johann Strauss (Sohn) – Frühlingsstimmen; Walzer op. 410
Der erste „Gassenhauer“ im Dreivierteltakt kommt recht spät. Die „Frühlingsstimmen“ gehören zu Recht zu den bekanntesten und meist aufgeführten Werken Strauss‘. Dieser selbst hatte das Stück ursprünglich als „Bianchi-Walzer“ betitelt, weil er es im Auftrag der Coloratur-Sopranistin Bianca Bianchi geschrieben hatte. Der Titel wurde aber noch vor Publikation geändert. Anfang März 1883 trug Bianchi die Gesangsversion vor und erntete frenetischen Applaus. Knapp eine Woche später wurden die „Frühlingsstimmen“ unter der Leitung von Eduard Strauss – welcher heuer selbst nicht im Programm vertreten ist – nach der Gesangsversion auch als Orchesterversion uraufgeführt. Das Publikum war von beidem hingerissen. Der Gesangstext stammt von keinem Geringeren als Richard Genée. Zu diesem Stück tanzen Solistinnen und Solisten des Wiener Staatsballetts in den Räumen und im Park des Gartenpalais Liechtenstein.
12. Johann Strauss (Sohn) – Im Krapfenwald’l; Polka op. 336
Das Krapfenwaldl ist eine bewaldete Anhöhe oberhalb von Döbling. Hier hatte sich der Geheime Kriegsrat Franz Joseph Krapf um 1751 ein Waldhaus bauen lassen. So ist der Wald nach ihm benannt. Wie bei den „Frühlingsstimmen“ hatte Strauss seine Polka ursprünglich anders benannt, nämlich „Im Pawlowsk-Walde“. Er hatte das Stück während seines Aufenthaltes im russischen Pawlowsk geschrieben. Nach der Wiener Aufführung des Stückes im Juni 1870 wurde die Polka nach dem Krapfenwaldl benannt. Damit war nicht der Wald selbst gemeint, sondern die gleichnamige Wirtschaft dort.
13. Johann Strauss (Sohn) – Neue Melodien; Quadrille op. 254
Die Strauss-Dynastie pflegte es, die Melodien von Opern, welche vornehmlich aus Frankreich und Italien kamen, zu Quadrillen zu verarbeiten, um dem begeisterten Opernpublikum auch abseits der Opernbühne die Neuheiten zu präsentieren – mit dem eigenen Namen darunter. Die Neue-Melodien-Quadrille beinhaltet Melodien aus den Opern La Traviata, Rigoletto, Der Troubadour, La fille du régiment, Lucia di Lammermoor und La Sonnambula. Im März 1861 fand die Uraufführung im Dianabad-Saal statt.
14. Johann Strauss (Sohn) – Kaiserwalzer; op. 437
Heroisch naht das Ende: Der Kaiserwalzer ist neben dem Donauwalzer DAS Strauss-Werk schlechthin und noch heute eines der meistaufgeführten. Interessanterweise trägt die Komposition ihren Namen ebenfalls nicht seit Anbeginn. Als „Hand in Hand“ geschrieben, war der Walzer ursprünglich der Verbundenheit der Habsburger zum Preussischen Reich gewidmet. Der Verleger ermunterte Strauss, den Walzer schliesslich umzubenennen. Die Uraufführung fand in Berlin zwei Tage nach Eröffnung des neuen Berliner Konzertsaals im Königsbau in ebendiesem statt. Unter etwas ungewöhnlichen Umständen erfolgte die Wiener Erstaufführung rund drei Wochen später: Carl Michael Ziehrer hat die Klavierpartitur orchestriert und sie im Etablissement Ronacher dem Wiener Publikum präsentiert. Johann Strauss war konsterniert darob. Zwei Wochen später dirigierte Eduard Strauss im Musikverein die originale Orchesterversion seines Bruders. Der Erfolg war riesig. Am Konzert werden Sequenzen des kaiserlichen Wiens eingeblendet.
15. Johann Strauss (Sohn) – Stürmisch in Lieb‘ und Tanz; Polka op. 393
Diese sehr attraktive Schnellpolka zitiert Melodien aus der wenig erfolgreichen Operette „Das Spitzentuch der Königin„. Uraufgeführt wurde die Polka durch Eduard Strauss am Concordia-Ball im Februar 1881 im Sofienbad-Saal.
16. Johann Strauss (Sohn) – Furioso-Polka; op. 260
Dieses Zugabe-Stück ist ebenfalls während Strauss‘ Aufenthalten in Russland entstanden, im Sommer 1861. Aufgeführt wurde es an einem Benefizkonzert des Komponisten in Pawlowsk. Das Stück ist im Strauss-Werk recht aussergewöhnlich mit vielen schnell wechselnden Tonartensprüngen. Es ist ausserordentlich virtuos und lebendig.
.Es folgen nach der ersten Zugabe und dem traditionellen Neujahrsgruss der Walzer „An der schönen blauen Donau“ sowie der Radetzky-Marsch von Johann Strauss (Vater).
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