Der Wiener Walzer

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Die Geschichte des Walzers geht an sich bis ins 12. Jahrhundert zurück, als im deutschsprachigen Raum der Alpen bereits musikalische Vor-Formen des späteren Tanzes im Dreiviertaltakt existierten. Die ersten Bezeichnungen für den späteren Walzer waren unterschiedlich. Man nannte den „Drehtanz“ unter anderem „Schwäbisch“, dann wieder „Steyrisch“, „Langaus“, „Plattler“, „Schleifer“, „Ländler“ oder „Deutscher“. Takt und Tanzschritt war ihnen allen gemein, es handelte sich um eine Art Werbetanz, der aus zwei Teilen bestand – dem eigentlichen Tanz und dem Nachtanz („Proportio“). Der erste wurde „getreten“, der zweite gesprungen, wobei die Tanzenden die Musik selber sangen.

In den Anfängen der Entwicklung des Walzers tanzte man noch gesittet und züchtig. Man bewahrte eine Distanz zum Partner, höchstens die Hände berührten sich gelegentlich. Einen erweiterten Körperkontakt gab es ausschliesslich bei Drehungen oder beim Finale. Ab dem 15. Jahrhundert kam man sich beim Tanzen allmählich näher. Dabei nahm der Herr – nach einer Schilderung des Schriftstellers Michel de Montaigne von 1580 – die Dame bei der Hand, küsste sie im selben Zug, platzierte dann seine Hand auf ihrer Schulter und zog sie an sich heran, wobei sie sich an der Wange berührten.

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Solches war der Obrigkeit ein Dorn im Auge. So erliess der Rat der Stadt Nürnberg im Jahre 1550 Folgendes: „Nachdem nit allein an einen Erbarn Rat gelangt, sondern auch offentlich am Tage vor Augen ist, welchermassen bei den Hochzeiten und anderen Tänzen Missbrauch gehalten, indem dass Frauen und Jungfrauen übermässig herumgeschwungen und verdreht werden, da muss nit geringe Ärgernis und Nachrede erfolgen. So haben unsere Herren diesem unziemlichen Missbrauch nit länger zuschauen wollen, ernstlich gebietend, dass sich ein jeder, wes Standes er sei, bei allen Tänzen alles unzüchtigen Tanzens, dazu alles Herabschwingens und Verdrehens, desgleichen allein in Hosen und Wams ohne darüber angetan Kleid zu tanzen, sich gänzlich enthalten soll.“

Und in einer Dresdener Hochzeitsverordnung aus dem Jahre 1595 heisst es: „Die Mahlzeiten sind so zu halten, dass man gegen Abend um 8 Uhr spätestens zum Tanze komme und allda etliche Ehrentänze züchtig und ohne Üppigkeit des Verdrehens, Einspringens und Hin- und Widerlaufens auf Zeit und Mass tun und halten kann. Wie denn auch hiefür die Frauen und Jungfrauen wie vor alters bei den Armen und nicht bei den Händen vom und zum Tanz geführt werden sollen, was derjenige, der die Hochzeit ausrichtet, anbefehlen soll.“

„Unsittliche Geilheit“

Ähnliches vernahm man aus Magdeburg und Belgern an der Elbe, wo das „Verdrehen“ und „Herumwerfen“ von Damen gar mit Geldbussen oder Gefangennahme bestraft wurde. Nicht nur die weltlichen Behörden verurteilten das Tanzverhalten in jener Zeit, sondern auch die Kirche wollte dem dringenst Einhalt gebieten. Luther schrieb das unzüchtige Gebaren nicht der Praktik des Tanzens zu, sondern sah es als Ausleben unordentlicher Begierden. Aus Schriften weiterer Kleriker vernimmt man noch härtere Worte wie „hurisches Umfangen“, „unsittliche Geilheit“, „Gott zur Schmach“, „vom Teufel erfunden“, ein „unflättiges und schändliches Schauspiel“, „Sünde“, „Unreinigkeit“, „Bosheit und Finsternis“, „satanischer Aufzug“ und so weiter im Takt. Offenbar hat man die Vorgängerformen des Walzers mit mehr Elan und Wildheit getanzt als heutzutage. Das Machtwort aus der Kirche vermochte dem eine Zeit lang Einhalt zu gebieten.

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Um 1770 erwachte der Tanz langsam wieder aus seinem „Schlaf“. Die Menschen hatten den Drang, Gefühle, Romantik und Leidenschaft zu leben. Das „Walzen“ wurde praktiziert wie noch nie. Lange und unaufhörlich tanzte man, Mädchen fielen bei den wilden Drehungen reihenweise in Ohnmacht. Nun waren es die Mediziner, welche da und dort Verbote aussprachen.
Im späten 18. Jahrhundert entwickelte sich in Österreich und besonders in Wien der Bauerntanz „Langaus“, eine Walzervariante, bei der man die Anzahl der Einzeldrehungen eher niedrig hielt. Anstatt dass man sich an Ort und Stelle drehte und herumwirbelte, bewegte man sich rasant geradeaus durch den Saal, wobei das Tempo auf bis zu 100 Takte pro Minute anstieg. Wien hatte seinen eigenen Langaussaal im alten Mondscheinhaus auf der Wieden. Hier walzte man eifrig von der einen Ecke in die andere und zurück. Im Mondscheinhaus soll man derart schweisstreibend getanzt haben, dass viele Tänzerinnen und Tänzer unter der Anstrengung zusammenbrachen, was dazu führte, dass die Behörden auch den Langaus verboten.

Vom Ländler und Langaus zum Walzer

Im Jahre 1787 wurde in Wien die heute vergessene Oper „Una Cosa rara“ vom Italiener Vincenzo Martin aufgeführt. Darin kommt ein Intermezzo im Walzertakt vor, welches so fein und lieblich war, wie es die Bevölkerung nie zuvor gehört hatte. Man ahmte es eifrig nach. Im Zuge dieser Entwicklung wurde der Begriff „Walzer“ als solcher erstmals offiziell verwendet. Dennoch waren die Walzer, die nun entstanden, dem Länder wie auch dem Langaus noch sehr ähnlich, und waren geprägt von einfachen, wenn auch lieblichen Melodien. Ein weiterer Schritt in der Entwicklung zum Wiener Walzer war der Tag, als Carl Maria von Weber (1786-1826) seinen „Freischütz“ mit dem flotten Walzerstück „Aufforderung zum Tanz“ zur Aufführung brachte.

Sofort fanden sich Nachahmer, darunter keine geringeren als Ludwig van Beethoven oder Franz Schubert. Auch viele andere, weit unbedeutendere Komponisten schrieben nun Walzer, viele von ihnen einfach nach heutigen Ansichten. Jeder musikalische Geistsblitz wurde zu einem Stück im Dreivierteltakt verarbeitet. Noch hatte der Walzer weder Einleitung noch Coda. Er bestand grundsätzlich aus zwei mal acht Takten. Davon wurden bis zu zwölf Stück aneinander gereiht. Auch gaben die Kompositionen ihren Walzern noch keine Titel. Diese Werke sind heutzutage fast alle vergessen und ebenso ihre Schöpfer. Die wenigen Walzerkomponisten aus jener Epoche, deren Namen man heute gelegentlich noch vernimmt, hiessen Michael Pamer, Anton Diabelli oder Joseph Leopold Faistenberger.

Die Hochblüte des Wiener Walzers

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Nun brach das 19. Jahrhundert an, in dem sich der Walzer zu seiner absoluten Hochblüte entwickeln sollte. Die Wegbereiter hierfür waren Joseph Lanner und Johann Strauss der Ältere. Durch sie rückte die Form des Ländlers immer mehr in den Hintergrund und der Walzer in den Vordergrund. Die beiden bestimmten jetzt das Wiener Musikleben. In der Stadt schossen neue Tanzlokale wie Pilze aus dem Boden, es wurde Lanner- und Strauss-Musik gespiel. Die führenden Lokalitäten waren unter anderem das Sperl in der Leopldstadt, das Dommayer in Hietzing, die Bierhalle Fünfhaus in Rudolfsheim, der Volksgarten, der Apollosaal oder die Redoutensäle. Die Stadt ging förmlich im Dreivierteltakt auf.

Dem Walzerrausch der Wiener begegnete man zuweilen auch kritisch. So verurteilte etwa Frédéric Chopin die neuartigen Klänge aus Wien und die damit verbundenen Gepflogenheiten mit scharfen Worten. Bei einem Besuch in Wien im Jahre 1830 schrieb er an seine Familie: „Unter den zahlreichen Wiener Belustigungen sind die Abende in den Gasthäusern berühmt, wo zum Nachtmahl Strauss oder Lanner Walzer aufspielen. Nach jedem Walzer ein ungeheurer Beifall; und wenn sie Quodlibet spielen, das heisst ein Gemisch aus Opern, Liedern und Tänzen, so sind alle Zuhörer so entzückt, dass sie nicht wissen, was sie mit sich beginnen sollen. Dies beweist den verdorbenen Geschmack des Wiener Publikums.“

Und in einem Brief an seinen Lehrer, den Komponisten Joseph Elsner, schrieb Chopin am 26. Januar 1831: „Walzer nennen sie hier Werke! Und Strauss und Lanner, die ihnen zum Tanze aufspielen, Kapellmeister! Damit ist jedoch nicht gesagt, dass alle hier dieser Meinung sind; im Gegenteil, fast alle lachen darüber, darum werden aber doch nur Walzer gedruckt.“

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Die beiden Walzerbegründer Johann Strauss Vater und Joseph Lanner

In Wien entbrannte ein wahres Walzer-Fieber, täglich erschienen neue Kompositionen. Nach Lanner und Strauss waren es in erster Linie drei weitere Exponenten, die den Wiener Walzer zu seiner endgültigen, noch heute populären Form entwickelten: Johann Strauss der Jüngere, sein Bruder Josef Strauss und Carl Michael Ziehrer. Natürlich blieb der Wiener Walzer nicht nur in Wien, sondern fand seine Vertreter genauso im Ausland, wobei ganz besonders Emile Waldteufel in Frankreich und England und Hans Christian Lumbye im Norden zu erwähnen sind. Selbst in Übersee schuf man ebenbürtige Klänge. Der Mexikaner Juventino Rosas und der Amerikaner John Philipp Sousa schrieben Tanzwalzer ganz in Form von denjenigen in Wien.

Anfang des 20. Jahrhundert fiel der Walzer allerdings erneut in einen Dornröschenschlaf, da er von neuartigen Tanzweisen wie Foxtrot, Swing, Jive oder Charleston verdrängt worden war. 1938 wurde der Wiener Walzer jedoch ins internationale Tanzturnierprogramm aufgenommen und wurde zum Standardtanz. Bis heute ist er ein solcher geblieben und hat nie mehr an Popularität eingebüsst, im Gegenteil.

Der Deutsche Paul Krebs schrieb in den 1950er-Jahlren ein Buch über die Technik des Wiener Walzers und stellte dies in England vor. Die Engländer konnten sich jedoch nicht für den Wiener Walzer begeistern. Sie bevorzugten eher den langsamen Walzerschritt. Daraus ging der so genannte „English Waltz“ hervor.


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