Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 2016

Programm


Diesmal steht wieder Mariss Jansons am Dirigentenpult (2006, 2012, 2016). Jansons ist Chefdirigent des Chors und Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks und des Amsterdamer Concertgebouw Orchesters. Was die Werkwahl bezüglich der Strauss-Familie betrifft, enthält das Programm keine besonderen Überraschungen. Bis auf ein zwei Ausnahmen war alles schon mal da, teils mehrmals und in jüngerer Zeit.

Ich frage mich, ob die Verantwortlichen überhaupt auf die zuvor gespielten Werke schauen, wenn sie ihr Programm gestalten? Die Strauss-Brüder haben zusammen über 1000 Walzer und Polkas komponiert. Es sollte doch machbar sein, eine etwas grössere Diversität in die Programme zu bringen und sie aufregender zu gestalten. Dafür aber hat Janssons diesmal mit Robert Stolz und – was besonders erfreulich ist – Emile Waldteufel zwei „exotische“ Komponisten berücksichtigt. Warum aber Waldteufel erst jetzt zum Zuge kommt, wo doch 2015 sein 100. Todestag war, ist mir schleierhaft.


Es werden gespielt:

Robert Stolz – UNO Marsch … Fulminant und festlich wird das Programm mit dem „Überraschungsgast“ Robert Stolz eröffnet. Vom Amerikanischen Bürgerrechtler und Friedensnobelpreisträger Ralph Bunche (1904-1971) zur Komposition animiert, schrieb Stolz diesen Marsch als Widmung für die Vereinten Nationen. Dieses Werk sollte unbedingt weiter hinten im Programm stehen, ist es doch nicht von besonders wienerischer Koloratur, sondern erinnert eher an die zackigen Preussen-Märsche. So ein Konzertbeginn wird das Publikum irritieren. Ob der Marsch gewählt worden ist in Gedenken an die erste UN-Generalversammlung vor genau 70 Jahren?

Johann Strauss Jun. – Schatz-Walzer, op.418 … Der 1885 komponierte Walzer mit Motiven aus der Operette „Der Zigeunerbaron“ gehört zu den berühmtesten und meistgespielten vom Johann. Aber sowohl das Hauptthema als auch die weiteren Walzerteile sind so beschwingt und populär, dass man den Schatz-Walzer ruhig zum mehrfach wiederholten Male bringen kann an einem Neujahrkonzert.

Johann Strauss Jun. – Violetta, Polka op.404 … Eine liebliche Polka, selten gespielt, darum eine schöne Wahl. Der Name bezieht sich auf die weibliche Hauptfigur in der Operette „Der lustige Krieg„. Die Musik zitiert unter anderem das Duett „Von einem Mann liess ich mich küssen“. Am 15. Januar 1882 wurde das Stück genau da uraufgeführt, wo es jetzt wieder erklingt: im Musikverein.

Johann Strauss Jun. – Vergnügungszug, Polka op.281 … Die Schnellpolka war 2001 zum letzten Mal im Programm. Die Polka gehört in die Sparte der so genannten „Eisenbahnmusik“. Strauss schrieb sie 1864 als Reminiszenz an das wachsende Eisenbahnnetz. Allmählich begann auch der Tourismus auf den Schienen zu florieren, Eisenbahnzüge waren nicht mehr nur für den Warentransport gedacht. Mit „Vergnügungszügen“ wollte man die Bevölkerung dazu animieren, mit der Bahn zu reisen.

Carl Michael Ziehrer – Weanar Madl’n, Walzer op.388 … Grosse Freude herrscht !! Erstens weil wieder Ziehrer gespielt wird, der meiner Ansicht wienerischste aller Wiener. Und zweitens, weil es dieser bezaubernde Walzer ist, zu recht Ziehrers berühmtester. So berühmt und legendär, dass Willi Forst 1944 die Geschichte dazu in „Wiener Mädeln“ verfilmt hat. Ich darf an dieser Stelle platzieren, dass mein „wien-erprobtes“ Ohr kaum einen anderen Walzer kennt, der den Wiener Spirit und die Wiener Lebens- und Tanzlust so vorzüglich wiedergibt wie die „Weanar Madl’n“. Bin gespannt, ob die Philharmoniker das hinreissende 4. Walzermotiv in ihrer Version wiederholen oder nicht. Der Walzer wurde zum ersten Mal am 23. Januar 1888 in Drehers Etablissement in Wien gespielt zusammen mit der Kapelle des Hoch- und Deutschmeisterregiments.

Eduard Strauss – Mit Extrapost, Polka op.259 … Der jüngste der Strauss-Brüder starb auch zuletzt, nämlich 1916. Somit feiern wir heuer seinen 100. Todestag. Dass Edi in diesem Prgramm schon wieder wenig berücksichtigt wird mit lediglich zwei einfachen Polkas, ist recht fragwürdig. Eduards Oeuvre umfasst auch zahlreiche hinreissende Konzertwalzer. Wo sind die geblieben in all den vergangenen Jahren?? „Extrapost“ ist eine flotte kleine Polka, die deutlich Edis Handschrift trägt.

…PAUSE…(Film „Zauberhaftes Salzburg“ im TV)

• Johann Strauss Jun. – Ouvertüre zu „Eine Nacht in Venedig“ … Die Operette „Eine Nacht in Venedig“ ist neben „Der Zigeunerbaron“ und „Die Fledermaus„, Strauss‘ populärstes und meist aufgeführtes Bühnenwerk. Die Ouvertüre war am Neujahrskonzert von 2009 bereits wiederholt im Programm, und jetzt (leider) schon wieder. So schön sie ist – es gäbe weitere Ouvertüren von Strauss, die weniger bekannt, aber genauso toll sind. Verpasste Chance.

• Eduard Strausss – Ausser Rand und Band, Polka op.168 … Das zweite und letzte Werk des Jubilaren ist wieder eine Schnellpolka. Flott und rassig, wies der Titel verspricht. Sowohl der erste Beitrag als auch dieser ist kaum repräsentativ für das verkannte Talent des jüngsten Strauss-Bruders. Eine weitere verpasste Chance. (Balletteinspielung des Wiener Staatsballetts, aufgenommen im Prater und in Schönbrunn)

Josef Strauss – Sphärenklänge, Walzer op.235 … Schon wieder eine Nummer, die erst 2009 im Programm war. Zugegeben eine der wundervollsten Kompositionen von Josef, aber halt auch eine der populärsten. Wies der Name verrät, handelt es sich bei diesem Walzer um ein schwelgerisches Tongedicht mit herrlichen Harmonien.

Johann Strauss Jun. – Sängerlust, Polka op.328 (Mit den Wiener Sängerknaben) … Eine nette, einfache Polka vom Walzerkönig, die sowohl gesungen als auch rein orchestral gleichermassen lieblich ist. Die Wiener Sängerknaben werden das bestimmt wunderbar hinkriegen.

• Josef Strauss – Auf Ferienreisen, Polka op.135 (Mit den Wiener Sängerknaben) … Schneller und flotter als die Sängerlust ist diese Polka. Man darf gespannt sein, wie es wirkt, wenn sie gesungen wird.

Johann Strauss Jun. – Entr’acte aus der Operette „Fürstin Ninetta“ … Wies der Titel sagt, ist es ein Intermezzo. Heute ist diese Operette weitgehend vergessen, obwohl sie damals sehr erfolgreich war und 76 Mal aufgeführt wurde. Das gemächliche Intermezzo bringt etwas Ruhe ins Programm, bevor es sehr beschwingt weiter geht mit der nächsten Nummer.

Emile Waldteufel – España, Walzer op.236 … Für mich der Höhepunkt dieses Programms. Es ist meines Wissens das erste Mal überhaupt, dass Waldteufel am Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker erklingt. Bravo! Vom sympathsichen Elsässer kennt man heute fast nur noch drei Werke, namentlich „Die Schlittschuhläufer“, „Estudiantina“ und eben „España“, das wir hier vorgeführt kriegen. España basiert auf der furiosen gleichnamigen Rhapsodie von Emmanuel Chabrier, welche 1883 herausgegeben wurde. Durch Emile Waldteufels Vertrag mit Hopwood & Crew war es ihm erlaubt, Arrangements mit Melodien anderer Komponisten zu schreiben. So schreib Waldteufel Melodien der Chabrier-Rhapsodie zu einem ungemein elektrisierenden Walzer um, der bezüglich Schwung und Vervé seinesgleichen sucht. Neben den „Weaner Madl’n“ von Ziehrer ist „España“ der treibendste und flotteste Walzer an diesem Konzert. Waldteufel, einer meiner drei Lieblingskomponisten überhaupt, hatte 2015 seinen 100. Todestag. Darum finde ich es – wie oben bereits erwähnt – seltsam, dass er erst 2016 zu seinem ehrenvollen Debut kommt.

• Joseph Hellmesberger Sen. – Ballszenen-Walzer … Herr Hellmesberger scheint sich in den letzten Jahren einen fixen Platz im Programm ergattert zu haben (warum eigentlich?). Auf diesen Beitrag hier freue ich mich sehr! Die Ball-Szenen muten an wie ein Charakterstück. Das einmalig schöne, sehr lebendige Hauptthema stellt die Spieler vor eine respektable technische Herausforderung. Es ist kaum tanzbar…

• Johann Strauss Vater – Seufzer-Galopp, op.9 … Populäres Stück, zu populär und auch nicht besonders aufregend. Und vor allem nicht wirklich repräsentativ für die hohen kompositorischen Fertigkeiten von Strauss-Senior. Es gäbe so herrliche Walzer, soviele einfallsreichere Galoppen und Polkas von ihm – die man noch nie gehört hat am Neujahrskonzert.

• Josef Strauss – Die Libelle, Mazurka op.204 … Die Inspiration zu dieser gemächlichen Mazurka von hat Josef Strauss in der Natur geholt, in der er sich besonders gerne aufhielt. Tondichterisch zeichnet er den Flug einer Libelle, wie sie über die saftige Wiese schwebt. Am 21. Oktober 1866 führte Strauss „Die Libelle“ im Volksgarten zum ersten Mal auf.

Johann Strauss Jun. – Kaiserwalzer op.437 … Das Monumentalwerk unter Johanns Konzertwalzern. An den Neujahrskonzerten wiederholt im Programm und somit keine Überraschung. Man hätte heuer gerne darauf verzichten dürfen und an seiner Stelle etwas Spannenderes von Johann setzen können. Dennoch wirds dem Publikum gefallen, da wohlvertraut. (Balletteinspielung des Wiener Staatsballetts, aufgenommen im Prater und in Schönbrunn)

Johann Strauss Jun. – Auf der Jagd, Polka op.373 … Schon wieder? 2010 war diese Polka erst zum letzten Mal im Programm. Etwas wie beispielsweise die Vöslauer-Polka hätte an dieser Stelle besser gepasst.

Johann Strauss Jun. – Im Sturmschritt, Polka op.348 … Eine ebenso flotte, lebendige Polka als Zugabe… schön.

Johann Strauss Jun. – An der schönen blauen Donau, Walzer op.314 … Alle Jahre wieder. Informationen hier.

Johann Strauss Vater – Radetzky-Marsch, op.228 … Wie gewohnt besiegelt der zackgie Marsch das Neujahrskonzert.


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