1. Bezirk, Rathausplatz

In der Mitte des 19. Jahrhundert wuchs die Bevölkerung Wiens durch die Eingemeindung weiterer Bezirke sprunghaft an, was dazu führte, dass das bisherige Rathaus an der Wipplingerstrasse zu klein geworden war für die nun umfangreicheren Aufgaben der Stadtverwaltung und die Repräsentation Wiens als eine führende europäische Metropole. Kurz: Ein neues Rathaus war nötig.

Der neue Bau sollte nicht nur seine Zwecke für politische Angelegenheiten erfüllen, sondern gleichzeitig eine bauliche Besonderheit darstellen, und einen besonders repräsentativen Akzent in der Stadt Wien setzen. Im Rahmen eines Architekturwettbewerbs fiel die Wahl auf das Projekt „Saxa loquntuur“ (Steine reden) von Dombaumeister Friedrich von Schmidt. Es war dies ein monumentaler neugotischer Bau mit fünf Türmen, von denen der mittlere mit nahezu 100 Metern der höchste ist. Auf seiner Spitze steht der Rathausmann, eine 3,40 Meter hohe Statue, die fast zwei Tonnen wiegt. Die reich gegliederte Frontfassade, welche direkt auf das Burgtheater ausgerichtet ist, weist Figurenschmuck auf, Arkaden, Spitzbogenfenstern und Loggien. Hinter den Spitzbogenfenstern der ersten Etage über der Erdgeschossarkade liegt der grosse Festsaal. Die Arbeits- und Diensträume hat man bewusst in den Hintergrund gerückt, damit das Rathaus für den Besucher in erster Linie als Repräsentativbau in Erscheinung tritt.

Ein Gefühl für die Dimensionen des Bauwerks erhält man bei einem Spaziergang um das Gebäude an den zahlreichen schlanken Spitzbogenformationen vorbei, die sich fast schwindelerregend in die Höhe ziehen. Der Platz vor dem Rathaus dient oft für Veranstaltungen verschiedener Art: Ob für Freilichtkino, Konzerte, Christkindlsmarkt, Eislauf oder Ausstellungen – die Verwendungszwecke des Rathausplatses sind mannigfaltig. Zuweilen ist es fast schon eine Seltenheit, das Rathaus für einmal unverdeckt von Buden und Bühnen und somit in seiner ganzen Pracht sehen zu können. Zwischen dem Rathaus und der Ringstrasse erstrecktt sich der Rathauspark, eine sorgfältig entworfene Grünanlage mit üppiger Vegetation, Spazierwegen, Ruhebänken und zahlreichen Statuen und Denkmälern.

Bei der Einweihungsfeier des neuen Rathauses stand der Baumeister Friedrich Schmidt hoch auf dem Gerüst und hatte drei gefüllte Gläser vor sich. Nach altem Brauch trank er eines nach dem anderen aus und erhob jeweils einen Trinkspruch auf den Kaiser, auf das Vaterland und zuletzt auf das Volk von Wien. Darauf warf er jedes Glas in die Tiefe, auf dass es mit hellem Klirren auf dem Rathausplatz zerschelle. Als er jedoch – während die Kapelle den Donauwalzer spielte – das dritte Glas mit dem Spruch für die Wiener fallen liess, zersprang dieses nicht auf dem Grunde, sondern wurde unversehrt auf einem Sandhaufen im Arkadenhof gefunden. Man brachte das Glas ins Museum und deutete das „Glaswunder“ folgendermassen: Kaiser und Vaterland gingen im Krieg unter, aber das Wiener Volk ist geblieben und wird immer bleiben…