Kaiserin

Am Heiligabend des Jahres 1837 erblickte Elisabeth Amalie Eugenie im Herzog-Max-Palais an der Ludwigstrasse in München das Licht der Welt. Alles sprach dafür, dass die Geburt des Kindes unter einem glücklichen Stern stand, und in der Tat war Elisabeth ein fröhliches, empfindsames und zufriedenes Kind. Mit ihren sieben Geschwistern verbrachte sie die Sommermonate jeweils in Schloss Possenhofen am Starnbergersee. Hier konnte sie ihren Freiheitsdrang ausleben, ging reiten, war eins mit der Natur konnte sich um ihre Tiere kümmern, ungezwungen Kind und Jugendliche sein…

Elisabeths Mutter Ludovika war eine Tochter des bayrischen Königs Maximilian I. und dessen zweiter Ehefrau Karolina von Baden. Ihre drei Schwestern ehelichten allesamt je ein Mitglied eines Königshauses, doch Ludovika heiratete Max, welcher den Herren von Birkenfeld-Gelnhausen angehörte, einer Seitenlinie der Wittelsbacher. Obschon Max den Titel „Herzog von Bayern“ tragen durfte, war Ludovika enttäuscht, dass sie sich nicht in ein Königshaus eingeheiratet hatte. Ludovikas Ehe war keine besonders glückliche, denn mit ihrem Mann hatte sie kaum eine Gemeinsamkeit. Max war ein freiheitsliebender Mensch, ein Lebemann und Schürzenjäger, floh wann immer möglich offizielle Pflichten und war unzuverlässig.

Portrait nach Friedrich Duerck, 1854
Um die Erziehung seiner Kinder kümmerte er sich eher wenig, nur seiner Lieblingstochter Sissi war er verfallen. Ludovika hingegen war allen ihren Sprösslingen eine gute, aber auch ehrgeizige Mutter und kümmerte sich rund um die Uhr um sie, brachte ihnen jedoch erst spät die Gepflogenheiten des aristokratischen Lebens bei. Als Sissis älteste Schwester Helene als künftige Ehefrau Kaiser Franz Josephs in Betracht gezogen wurde, sah Ludovika darin ihre Chance, endlich doch noch in das unmittelbare Umfeld einer Krone zu kommen. Ihr Mann Max hatte jedoch nicht besonders viel übrig für solche adlige Verkupplungen. Franz Joseph war Ludovikas Neffe, denn ihre Schwester Sophie hat den Habsburger Erzherzog Franz Karl, Bruder Kaiser Ferdinands I., geheiratet, mit welchem sie fünf Kinder hatte.
Hochzeit mit Franz Joseph

Im Sommer des Jahres 1853 war die Verlobung Helenes mit Franz Joseph in Bad Ischl geplant. Doch als sich alle Beteiligten in dem Salzburger Städtchen einfanden, verlief alles anders, denn als Franz Joseph die 15-jährige Sissi sah, verliebte er sich in sie und verlobte sich mit ihr anstatt mit Helene. Ludovika war verwundert und Sophie verärgert, denn ihr Sohn sollte die wohlerzogene Helene (Neneh) heiraten und nicht ein Kind, das von höfischen Sitten und Manieren keine Ahnung hatte. Sissi war unbeholfen, verwirrt und wusste nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Wohl fand sie Gefallen an dem jungen Franz Joseph, wurde ihre Unsicherheit zunächst jedoch nicht los. Dennoch entschied sie sich, ihrem Verlobten in die Kaiserstadt Wien zu folgen und ihn zu ehelichen.
Derweil erwarb die Kaiserinmutter Sophie die Villa Eltz in Bad Ischl, welche Kanzler Metternich bislang als Sommerresidenz gedient hatte. Sophie liess die Villa mit Park aus- und umbauen. Das junge Kaiserpaar sollte hier jeweils sie Sommermonate verbringen. Im April 1854 fand in der Augustinerkirche die Hochzeit zwischen Franz Joseph und Elisabeth statt. Die Vermählung war so prunkvoll, wie selbst Wien es selten gesehen hat. Die Liesel von Possenhofen war nun Kaiserin von Österreich – und ihr Leben sollte eine jähe Wende erfahren.

beim Spaziergang im Park
Es war eine politisch schwierige Zeit, und Kaiser Franz Joseph war stets sehr beschäftigt und hatte im Namen des Staates viele Probleme zu bewältigen. Daher blieb ihm wenig Zeit, sich um seine Frau zu kümmern, weshalb er sie oft allein liess. Elisabeth konnte sich ferner nicht an die strenge Wiener Hofetikette gewöhnen. Sie hasste das strenge Regiment ihrer Tante und Schwiegermutter Sophie, welche grossen Wert auf die Einhaltung der Sitten und Regeln in der Hofburg legte. Sophie akzeptierte Sissi ebenfalls nur zähneknirschend, denn nach wie vor sah sie in der jungen Frau das störrische und widerspenstige Kind aus dem bayrischen Hinterland. Trotz der Abneigung gegenüber all dem Zeremoniell war Sissi zunächst bemüht, alle Erwartungen, die an sie gestellt wurden, zu erfüllen und sich so gut wie mögliche anzupassen und allen Regeln zu fügen. Man versuchte, das unerfahrene Mädchen zu einer Kaiserin zu formen.

Sissis natürliche Schönheit und ihre bezaubernde Ausstrahlung machten sie bei der Bevölkerung beliebt wie kaum eine Kaiserin zuvor. Doch diese Ausstrahlung wurde immer mehr zur Fassade, denn Sissi begann seelisch zu zerfallen und sich in die Melancholie zu flüchten. Oft zog sie sich zurück und drückte ihren Kummer und ihre unerfüllte Sehnsucht nach Freiheit aus, indem sie ihr Empfinden in Gedichten niederschrieb. Im laufe der Zeit häuften sich zahllose Gedichte an, welche später Aufschluss über Elisabeths Gefühlswelt geben sollten. Ihr einziger Trost war ihr Ehemann Franz Joseph, den sie von Herzen liebte.
Aber auch dieser Trost hielt sich in Grenzen, war er doch ständig beschäftigt und musste unzähligen Verpflichtungen nachkommen. Sissi gebar ihm zwei Töchter, Sophie und Gisela. Erstere starb jedoch bereits mit zwei Jahren, was ein erster grosser Schicksalsschlag für die Kaiserin bedeutete. Ein mit Freuden erfüllter Moment brachte das Jahr 1858, als Sissi in Schloss Laxenburg einen lang ersehnten männlichen Nachkommen zur Welt brachte, Kronprinz Rudolf.
(Vermeintlicher) Entzug ihrer Kinder und Krankheit

Die Freude wurde jedoch bald getrübt, denn das Kind wurde – wie auch schon Sophie und Gisela – der Mutter entzogen und der Obhut Erzherzogin Sophies unterstellt, welche den Kindern eine Erziehung erteilen wollte wie sie kaiserliche Nachkommen erhalten müssen, denn Elisabeth empfand sie als zu jung und ungeeignet für diese wichtige Aufgabe. Sissis Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter verschlechterte sich dramatisch. Soweit die populäre Version dieses Abschnittes in Sissis Leben. Moderne Biographen sind aber nach der peniblen Auswertung von Sophies Tagebuch und der Korrespondenz zwischen Sissi und der Kaiserin Mutter überzeugt, dass der Kindesentzug weitgehend ins Reich der Legenden gehört und das Verhältnis zwischen den beiden Frauen nicht ein so schlechtes war, wie allgemein geglaubt wird. Es liegen Dokumente vor, in denen Sophie beim Kaiserpaar um Erlaubnis bittet, ihre Enkelkinder besuchen zu dürfen.
Fakt ist, dass Sissi ein untypisches Verhältnis zu Kleinkindern hatte. Sie konnte sie sprichwörtlich nicht riechen. Der Duft eine Kleinkindern bescherte ihr fast Brechreiz. Selbst derjenige ihrer eigenen. Sie mochte Babies noch nie besonders. Vermutlich war es ihr nicht mal so unrecht, dass Sophie zu den Kindern schaute. Später fand Sissi zwar den Zugang zu ihren Kindern und liebte sie auch aufrichtig. Doch bis es soweit war, waren die Kleinen schon längst aus dem Säuglingsalter raus.

Sissis Liebe zu Franz Joseph beruhte auf Gegenseitigkeit. Dennoch litt sie unter seinem krankhaften Pflichtbewusstsein und seiner Arroganz. Er hatte eine gewisse Kaltblütigkeit von seiner Mutter geerbt und liess dies seine Frau nicht selten spüren. Es kam soweit, dass Sissi 1860 aus Wien flüchtete, nachdem sich Frauengeschichten ihres Mannes gehäuft hatten. Sie ging auf Reisen und kehrte oft monatelang nicht nach Wien zurück zu ihrem Mann. Es kommt hinzu, dass Sissi an einer heimtückischen Krankheit litt, welche von den Hofärzten als „Lungenschwindsucht“ deklariert wurde. Mit grosser Wahrscheinlichkeit dürfte es sich dabei jedoch um eine Geschlechtskrankheit gehandelt haben, welche sie sich bei ihrem Mann geholt hatte.
Auf ihren Reisen wurde Sissis gesundheitlicher Zustand stabiler. Sie liess sich für längere Zeit auf Madeira, Venedig und danach auf der griechischen Insel Korfu nieder. 1861 kehrte sie auf Drängen des Wiener Hofes widerwillig in die Kaiserstadt zurück. Elisabeth war zu dem Zeitpunkt schon lange nicht mehr das naive Mädchen wie anfänglich, sondern eine selbstbewusste junge Frau.

Sissi hegte eine innige Liebe zu Ungarn und dessen Kultur und Sprache. Das Land war dem österreichischen Staat jedoch schon lange ein Klotz am Bein, denn das Land kämpfte stets um seine Unabhängigkeit – erfolglos. Erzherzogin Sophie lehnte alles ab, was mit Ungarn zu tun hatte, was natürlich für die staatlichen Beziehungen doppelt schlecht war. Um 1866 befand sich das Habsburgerreich in einer ernsthaften Krise, und ein Zerbrechen des Vielvölkerstaates war fast absehbar. Jetzt setzte sich Sissi mit aller Kraft für ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Österreich und Ungarn ein, indem sie den Zuspruch gewisser Rechte und Freiheiten für den ungarischen Staat forcierte.
Sie schaffte es, dass Ungarn eine gleichberechtigte Nation wurde mit Budapest als Hauptstadt, die der Kaiserstadt Wien ebenbürtig war. Die österreich-ungarische Doppelmonarchie (k.u.k.) war entstanden, und 1867 wurde das österreichische Kaiserpaar in Budapest zum Königspaar gekrönt. Die Ungaren liebten ihre Königin! Im Folgejahr brachte Sissi ihr viertes Kind zur Welt, Erzherzogin Marie Valerie. Das Mädchen stand ihrer Mutter näher als ihre Geschwister, wurde von Sissi in der ungarischen Sprache erzogen und verbrachte die meiste Zeit mit ihr im Barockschloss Gödöllö bei Budapest, wo sich Sissi am liebsten aufhielt.
Schönheitswahn, Schickalsschläge, Rastlosigkeit, Todessehnsucht

Trotz der Errungenschaft des Völkerverständnisses war Sissi der Politik abgeneigt und beschäftigte sich viel lieber mit sich selbst. Sie war für ihre Schönheit berühmt, welche bald ihren gesamten Tagesablauf bestimmte. Ihr grösster Stolz war ihre Haarpracht, die bis zu den Fersen reichte und die oft Stunden der Pflege in Anspruch nahm. Um ihre extrem schlanke Figur zu halten, trieb sie eifrig Sport, lief kilometerweit, hielt strengste (sehr einseitige) Diät und zwängte sich in enge Korsette, welche sie bis aufs Maximum zuschnürte. Sie war das, was heute als magersüchtig bezeichnet wird. Ihrer Gesundheit hat sie damit freilich keinen Gefallen getan wie sich später zeigen sollte, denn ihr Leibarzt wird 1897 ein geschwächtes und vergrössertes Herz sowie eine allgemein wässrige Blutbeschaffenheit feststellen.
Sissi war ihrem Schönheitswahn derart verfallen, dass sie oft allein deswegen ihre Pflichten am Hof vernachlässigte, weil sie sich nicht schön genug fühlte, um sich dem Volk zu präsentieren. Sie unternahm lange Gewaltmärsche, von denen sie selbst das ärgste Hundewetter nicht abzubringen vermochte. Mehrere ihrer Hofdamen quittierten ihr Amt, weil sie diese Strapazen nicht mehr mitmachen konnten.

Elisabeths Ehrgeiz, der mit Egozentrik und Egoismus einherging, schlug sich nicht nur bei ihrem Aussehen nieder, sondern auch beim Reitsport. Wie besessen frönte sie diesem und unternahm oft fast endlose Ritte durch die ungarischen Ebenen. Vor waghalsigen Reitmanövern schreckte sie nie zurück, was ihr Mann und der Hof natürlich höchst ungern sahen, denn eine Königin und Kaiserin darf sich schliesslich nicht leichtsinnig in Gefahr bringen. Der Kaiserin wurde nachgesagt, die beste Reiterin Europas zu sein. Als jedoch rheumatische Beschwerden das Reiten für Elisabeth unmöglich machten, gab sie sich ihrer zweiten grossen Leidenschaft, der Poesie, hin. Sie verehrte ihr grosses Vorbild Heinrich Heine abgöttisch und hegte den Wunsch, nicht nur als Kaiserin, sondern auch als grosse Dichterin in die Geschichte einzugehen.Später deklarierten Experten Sissis poetische Werke zwar als künstlerisch nicht wertvoll, jedoch geben sie Aufschluss über ihre Person.
Elisabeth zog sich immer mehr vom Hof zurück. Das Verhältnis zu ihrem Mann war so gut wie keines mehr, denn beide Eheleute hatten sich nichts mehr zu sagen, obwohl der Kaiser seine Frau nach wie vor vergötterte. Franz Joseph hat nie gelernt, was ein inniger Gedankenaustausch ist. Somit fand ein solcher auch zwischen ihm und seiner Frau nicht statt. Wie sollte eine Frau dauerhaft bei einem solchen Mann bleiben und glücklich sein? Um Franz Josephs Einsamkeit zu mildern, führte Sissi ihm eigenhändig die Schauspielerin Katharina Schratt zu, welche für ihn eine herzliche Lebensgefährtin wurde.

Entgegen der allgemeinen Auffassung geschah es im Laufe von Sissis rastlosen Jahren jedoch, dass sie und ihr Mann einander wieder näher kamen – wenn auch auf einer ganz anderen Ebene als auf der ehelich-liebenden. Beispielsweise begleitete Franz Joseph seine Frau im Februar 1893 nach Territet am Genfersee. Von dieser gemeinsamen Reise wird von Harmonie und ungetrübtem Beisammensein berichtet. Der Fundus an Briefverkehr zwischen Franz Joseph und Sissi offenbarte sogar, dass das Verhältnis zwischen den beiden Eheleuten in den letzten Lebensjahren Elisabeths gar von grosser Innigkeit, Vertrauen und gegenseitiger Wertschätzung geprägt war. Nicht mal vorübergehende Misstimmungen gab es mehr zwischen den beiden.
Wie bereits angetönt war Sissis Leben von einer Reihe von Schicksalsschlägen begleitet, die mit dem frühen Tod ihrer ersten Tochter Sophie begonnen hatte. Im Jahr ihrer Krönung zur ungarischen Königin wurde ihr Schwager Maximilian I., Kaiser von Mexiko, von Aufständischen erschossen. Im Jahre 1886 ertrank einer ihrer engsten Freunde, ihr Vetter König Ludwig II. von Bayern, unter bis heute ungeklärten Umständen im Starnbergersee. Drei Jahre später nahm sich ihr Sohn Rudolf mit seiner Geliebten Mary Vetsera in Schloss Mayerling das Leben. Dies war der härteste aller Schicksalsschläge, und Sissi hat ihn niemals verarbeiten können, zumal sie sich an der Tragödie wegen ihres eigenen Verhaltens mitschuldig fühlte.

Spätestens jetzt begann Sissis Rastlosigkeit. „Die Seemöve passt nicht ins Schwalbennest. Mir ist ein ruhiges glückliches Familienleben nicht bestimmt“, sagte sie einst. Elisabeth war in ihren letzten 15 Lebensjahren ununterbrochen auf Reisen. Biarritz, Miramar, Baden-Baden, Kissingen, Ischl, Korfu, Tunesien, Gödöllö, München, Schweiz, Paris, England, Irland… kreuz und quer durch Europa tingelte die Rastlose. Wenn sie an einer Stätte ihres eigentlichen Wirkens einigermassen mit Freude Halt machte, dann war dies im Hause Marie Valéries. Diese beklagte zunehmend die düstere, depressive, ja oft todessehnsüchtige Stimmung ihrer Mutter und deren wachsenden Wunsch nach Zurückgezogenheit und Einsamkeit. „Es ist zu traurig, dass sie sich mehr und mehr von allem abschliesst. Schon das gemeinsame Frühstück ist ihr ermüdend“, vermerkt Marie Valérie. „Leider will Mama mehr denn je allein sein und spricht fortwährend nur von traurigen Dingen.“

Ein letzter harter Schlag traf die ohnehin gebrochene und auf den erlösenden Tod wartende Kaiserin am 5. Mai 1897, als ein Telegramm aus Paris vermeldete, dass ihre Schwester Sophie unter den Opfern einer Brandkatastrophe sei, welche von einem defekten Kinematographen an einem Wohltätigkeitsbazar verursacht worden war. Sophie sei jedoch noch nicht aufgefunden worden in der Brandruine. Am Abend desselben Tages kam schliesslich die erschütternde Nachricht über den Fund der fast zur Unkenntlichkeit verbrannten Leiche Sophies. 120 Menschen kamen bei dieser Tragödie ums Leben.
Die Trostlosigkeit von Elisabeths Leben und ihre seelische Leere wurden mit ihrem zunehmenden Alter noch ärger. Sie liess sich nicht mehr photographieren – es gibt die eine oder andere seltene Ausnahme – und versteckte ihr faltig gewordenes Gesicht und vor allem ihre schlechten Zähne hinter ihrem Fächer oder einem Schleier. Kränklichkeit und physische Gebrochenheit addierten sich zu ihrem anhaltenden Kummer. Ihr Gang ist langsam und müde geworden, und doch hinderte sie selbst dies nicht, endlose Spaziergänge zu unternehmen.
Wie unerträglich Sissi das Leben geworden ist, hält Marie Valérie in folgender Notiz fest: „Die tiefe Traurigkeit, die Mama früher doch nur zeitweilig umfing, verlässt sie jetzt nie mehr. Da gibt es keinen, auch nur vorübergehenden Sonnenblick mehr – alles ist düster, alles ist trostlos. Die beiden Worte hoffen und sich freuen hat Mama für immer aus ihrem Leben gestrichen. Ihre physische Kraft war eben ihre grösste Freude – und diese Kraft hat sie verlassen.“
Der Tod wurde zu Elisabeths Ziel. Nichts fürchtete sie weniger als ihn, denn sie konnte sich nicht vorstellen – wie sie selbst sagte – dass es eine Macht gebe, die so grausam wäre, mit einem solchen Leiden wie dem ihren nicht genug zu haben, sondern auch noch die Seele aus einem Körper herausreissen würde, um diese weiter zu foltern. Auch aus Sissis Gedichten dieser Jahre geht deutlich hervor, dass sie selber des Lebens müde geworden war. Ihr Kummer und ihre Vereinsamung sind ihr unerträglich geworden sein.

Das Bild entstand in der Schweiz unmittelbar vor Elisabeths Ermordung.
Tod in Genf und Bestattung in Wien
1898 reiste Elisabeth mehrmals in die Schweiz – wie üblich war sie ohne persönlichen Schutz unterwegs; heutzutage undenkbar. Und da die Helvetische Republik damals eine Aufenthaltshochburg für Anarchisten war, bedeutete dies für gekrönte Häupter allgemein eine reale Gefahr. Doch die Berge und das Klima am Genfersee empfand Elisabeth als wahre Wohltat, so dass sie dieses Risiko in Kauf nahm. Auch im September selben Jahres weilte die Kaiserin wieder im Waadtland und wohnte im Grand Hotel in Caux. Eine Schifffahrt brachte sie am Samstag, 9. September, mit ihrer Begleitdame Irma Gräfin Sztáray nach Genf, wo sie im Hotel Beau Rivage nächtigte. Um nicht erkannt zu werden, war Elisabeth inkognito als „Gräfin Hohenembs“ unterwegs, aber es war dennoch bekannt, wer sie in Wirklichkeit war.

Als Sissi am Sonntag, 10. September 1898, mit ihrer Begleiterin das Hotel um 13.35 Uhr verliess und wieder das Schiff besteigen wollte, welches sie über den See bringt, näherte sich ihr etwa 200 Meter vom Hotel entfernt in der Allee auf dem Quai du Mont Blanc auf der Höhe des Hotel de la Paix ein Mann – Luigi Lucheni, ein 25jähriger Anarchist. Dieser bewegte sich strauchelnden Schrittes auf die beiden Damen zu, zog eine dünne geschliffene Feile hervor und stiess sie Elisabeth in die Brust. Die Kaiserin fiel zu Boden. Das alles ging sehr schnell vor sich, so dass niemand realisierte, was soeben geschehen war. Herbei geeilte Passanten halfen Elisabeth aufzustehen. „Es ist mir nichts geschehen“, sagte sie. Elisabeth bedankte sich mehrsprachig und bestieg mit ihrer Hofdame leichten Schrittes das Schiff. Sie vermutete, dass der junge Mann ihr womöglich die Uhr stehlen wollte.

Hotel Beau Rivage in Genf
Auf dem Schiff jedoch sagte Elisabeth mit keuchender Stimme zu Irma Sztáray: „Jetzt Ihren Arm. Schnell, bitte!“ Doch die tödlich verletzte Sissi sank auf die Knie und sank schliesslich ohnmächtig und totenblass in Sztárays Arme. Diese schrie verzweifelt nach einem Arzt. Noch einmal kam Elisabeth kurz zu Bewusstsein, öffnete die Augen, schaute wie im Delirium um sich, richtete sich mit Sztárays Hilfe sitzend auf und fragte: „Was ist denn mit mir geschehen?“. Es waren ihre letzten Worte, sie fiel erneut in Ohnmacht und kam nicht mehr zu Bewusstsein. Dann öffnete Sztáray Sissis Bluse und das Seidenmieder, um ihr das Atmen zu erleichtern. Da erst entdeckte man auf Herzhöhe einen kleinen Blutfleck auf dem Batisthemd und somit die Verletzung. Ihr Herz wurde von der Feile nicht mittig durchbohrt, sondern punktiert.
Dies kann zur Folge haben, dass die betroffene Person noch eine Zeit lang bei Kräften und handlungsfähig ist. Deshalb blieb die lethale Verletzung vorerst unbemerkt, und Elisabeth schaffte noch den Weg bis ans Deck. Die leblose Kaiserin wurde sofort zurück ans Ufer und in die Hotelsuite gebracht. Irma Sztáray indes telegrafierte sofort nach Wien: „Ihre Majestät die Kaiserin schwer verwundet“. Um 14.40 Uhr aber konnte der Arzt nur noch Elisabeths Tod feststellen. Das zweite Telegramm Sztárays nach Wien folgte ummittelbar: „Ihre Majestät die Kaiserin soeben im Hotel Beau Rivage verschieden.“

Luigi Lucheni flüchtete nach dem Attentat in die Rue des Alpes, konnte dort jedoch von Passanten überwältigt und von der Genfer Polizei verhaftet werden. Er gab an, dass er nach Genf gekommen sei, um den Prinz Heinrich von Orléans, den Thronprätendenten von Frankreich, zu töten. Alternativ wollte er König Umberto von Italien umbringen. Da er aber weder diesen noch jenen lokalisieren konnte, habe er die nächst beste Hoheit umgebracht. Man konnte seiner Aussage aber keinen Glauben schenken, denn seit Mai 1898 hielt sich Lucheni in Lausanne auf, wo er sich einer Gruppe von Anarchisten angeschlossen hatte. So vermutete man einen gezielten Mordkomplott gegen die österreichische Kaiserin. Lucheni wurde zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt und beging im Oktober 1910 in seiner Zelle Selbstmord. Seine Worte „Ich bereue nichts!“ gingen in die Geschichte ein.

Am Montag, 11. September, verliess am frühern Morgen ein Extrazug die Kaiserstadt in Richtung Genf. An Bord waren Graf Bellegarde, Obersthofmeisterin Maria Theresia Gräfin Harrach und Elisabeths ehemalige Hofdame Marie Gräfin Festetics. Am 13. September wurde Elisabeths Leichnam in Genf eingesegnet, und am 14. September mit dem Extrazug nach Wien gefahren, wo er am 15. Septamber gegen Mittag eintraf. Der Sarg wurde unter Beisein einer riesigen Menschenmenge in die Burgkapelle zur Aufbahrung gebracht. Er blieb geschlossen.
Am 16. September fand in der Burgkapelle eine Messe statt. Scharen von Menschen strömten in das Gotteshaus, um von ihrer Kaiserin Abschied zu nehmen. Der Chor sang dazu das „Miserere“. Nach einer weiteren Messe am 17. September wurde der Sarg Elisabeths um vier Uhr nachmittags in die Kapuzinergruft überführt. Am 18. September reiste Elisabeths jüngere Schwester Mathilde Ludovica an und liess – um von Sissi Abschied zu nehmen – vom Kapuziner Pater Guardian das Sargenster öffnen. Da war die Leiche der Kaiserin bereits ziemlich entstellt.

Denkwürdig und gleichsam rührend, wenn nicht schon unheimlich, ist ein Zitat in Elisabeths Tagebuch, welches sie kurz vor ihrem Tod niedergeschrieben hat: „Ich möchte, dass meine Seele durch ein kleines Loch in meinem Herzen in den Himmel kommt.“ Ebenso herzergreifend ist eine Äusserung Elisabeths, die sie einst für Marie Valérie hörbar vor sich hersang: „Und wenn ich einmal sterben muss, so legt mich an das Meer.“ Obschon es sich beim Genfersee nicht um das Meer handelt, sagte Elisabeth noch am Freitag, zwei Tage vor ihrem Tod, zu Irma Sztáray, sehnsuchtsvoll auf die Weiten des silber-blau glizernden Genfersees hinausblickend: „Es ist ganz die Farbe vom Meer, ganz wie das Meer…“
Der Mythos Sisi
Kaiserin Elisabeth von Österreich ist heute hauptsächlich als Sissi (oder Sisi) bekannt und ist zu einem der grossen Mythen der Weltgeschichte geworden. Kaum woanders auf der Welt wird eine Monarchin posthum so erfolgreich und flächendeckend vermarktet wie Sissi. Millionen von Besuchern aus der ganzen Welt kommen nach Wien, um sich auf die Spuren der zweitletzen Kaiserin von Österreich zu begeben, sei es nach Schönbrunn, ins Sissi-Museum, in ihre Gemächer in der Hofburg oder an ihre letzte Ruhestätte in der Kaisergruft, wo ihre sterblichen Überreste in einem Sarg bestattet sind, neben ihrem Ehemann Kaiser Franz Joseph und ihrem Sohn Kronprinz Rudolf.

Es ist der Wunsch so mancher Frau, einmal wie Sissi frisiert und gekleidet mit einem eleganten Vierspänner in Schönbrunn vorzufahren oder durch die Gassen Wiens kutschiert zu werden. Dieser Wunsch lässt sich in Wien im kommerziellen Rahmen verwirklichen, was angesichts der unfassabaren und von kaum jemandem begriffenen Tragik hinter der Figur Elisabeth gar lächerlich wirkt, ja fast geschmacklos und wie purer Hohn erscheint.
Spätestens seit der Sissi-Trilogie mit Romy Schneider aus den Jahre 1955-57 ist Elisabeths Geschichte Kult schlechthin, obwohl die Spielfilme bei weitem nicht der Wahrheit entsprechen. Im Gegenteil: Sie geben ein verklärt-kitschiges und übertrieben romantisches Bild von Elisabeths Ehe und auch ihrem Aussehen wieder. Einzig die Umgebung, der „goldene Käfig“, ist in diesen Filmen einigermassen authentisch. Die wahre Elisabeth lernt man lediglich durch das eingehende Studium zeitgenössischer Dokumentationen von Personen aus ihrer unmittelbaren Umgebung kennen, doch auch selbst dann nur annähernd – wenn überhaupt. Ihre Lieblingstochter Marie Valérie brachte es treffend auf den Punkt: „Es hat nie ein gutes Bild von Mama gegeben. Kein naturwahres Portrait. So ist es mit allem, was über Mama gesagt und geschrieben wird.“ Elisabeth von Österreich wird für immer eine der rätelhaftesten, am wenigsten verstandenen und – vor allem – tragischsten Figuren der europäischen Geschichte bleiben.
