Kaiserin
Am Heiligabend des Jahres 1837 erblickte Elisabeth Amalie Eugenie im Herzog-Max-Palais an der Ludwigstrasse in München das Licht der Welt. Alles sprach dafür, dass die Geburt des Kindes unter einem glücklichen Stern stand: Elisabeth war ein fröhliches, empfindsames und zufriedenes Kind. Mit ihren sieben Geschwistern verbrachte sie die Sommermonate in Schloss Possenhofen am Starnbergersee. Hier konnte sie ihren Freiheitsdrang ausleben, ging reiten, war eins mit der Natur konnte sich um ihre Tiere kümmern, ungezwungen Kind und Jugendliche sein.
Elisabeths Mutter Ludovika war eine Tochter des bayrischen Königs Maximilian I. und dessen zweiter Ehefrau Karolina von Baden. Ihre drei Schwestern ehelichten allesamt je ein Mitglied eines Königshauses, doch Ludovika heiratete Max, der den Herren von Birkenfeld-Gelnhausen angehörte, einer Seitenlinie der Wittelsbacher. Obschon Max den Titel „Herzog von Bayern“ tragen durfte, war Ludovika enttäuscht, dass sie nicht in ein Königshaus einheiraten konnte. Die Ehe war keine besonders glückliche, denn mit ihrem Mann hatte Ludovika kaum eine Gemeinsamkeit. Max war ein freiheitsliebender Mensch, ein Lebemann und Schürzenjäger, entzog sich wann immer möglich offiziellen Pflichten und war sehr unzuverlässig.
Um die Erziehung seiner Kinder kümmerte sich Max eher wenig, nur seiner Lieblingstochter Sisi war er sehr zugetan. Ludovika hingegen war allen ihren Sprösslingen eine gute, aber auch ehrgeizige Mutter und kümmerte sich rund um die Uhr um sie, brachte ihnen jedoch erst spät die Gepflogenheiten des aristokratischen Lebens bei. Als Sisis älteste Schwester Helene als künftige Ehefrau Kaiser Franz Josephs in Betracht gezogen wurde, sah Ludovika ihre Chance, doch noch ins unmittelbare Umfeld einer Krone zu kommen. Max hatte jedoch nicht besonders viel übrig für solche adlige Verkupplungen. Franz Joseph war Ludovikas Neffe, denn ihre Schwester Sophie hat den Habsburger Erzherzog Franz Karl, Bruder Kaiser Ferdinands I., geheiratet, mit welchem sie fünf Kinder hatte.
Hochzeit mit Franz Joseph
Im Sommer des Jahres 1853 war die Verlobung Helenes mit Franz Joseph in Bad Ischl geplant. Doch als sich alle Beteiligten im Salzburger Städtchen einfanden, verlief alles anders: Als Franz Joseph die 15-jährige Sisi sah, entbrannte er in Liebe und verlobte sich mit ihr anstatt mit Helene. Ludovika war verwundert und Sophie verärgert, denn ihr Sohn sollte die wohlerzogene Helene (Neneh) heiraten und nicht ein Kind, das von höfischen Sitten und Manieren keine Ahnung hatte. Sisi war unbeholfen, verwirrt und wusste nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Wohl fand sie Gefallen an dem jungen, gut aussehenden Franz Joseph, wurde ihre Unsicherheit zunächst jedoch nicht los. Dennoch entschied sie sich, ihrem Verlobten in die Kaiserstadt Wien zu folgen und ihn schliesslich zu ehelichen.
Kaiserinmutter Sophie erwarb die Villa Eltz in Bad Ischl, die dem Kanzler Metternich bislang als Sommerresidenz gedient hatte. Sie liess das Anwesen mit Park aus- und umbauen. Das junge Kaiserpaar sollte hier jeweils sie Sommermonate verbringen. Im April 1854 fand in der Wiener Augustinerkirche die Hochzeit von Franz Joseph und Elisabeth statt. Diese war so prunkvoll, wie selbst Wien es selten gesehen hat. Die „Liesel von Possenhofen“ war nun Kaiserin von Österreich – ihr Leben nahm eine jähe Wende.
Es war eine politisch herausfordernde Zeit. Franz Joseph war stets beschäftigt und hatte im Namen des Staates viele Probleme zu bewältigen. Ihm blieb wenig Zeit, sich um seine Frau zu kümmern, weshalb sie häufig allein war. Elisabeth tat sich zudem schwer mit der strengen Wiener Hofetikette. Sie verabscheute das Regiment ihrer Tante und Schwiegermutter Sophie, welche grossen Wert auf die Einhaltung der Sitten und Regeln in der Hofburg legte. Sophie akzeptierte Sisi ebenfalls nur zähneknirschend, denn nach wie vor sah sie in der jungen Frau das störrische und widerspenstige Kind aus dem bayrischen Hinterland. Trotz der Abneigung gegenüber all dem Zeremoniell war Sisi zunächst bemüht, alle Erwartungen an sie zu erfüllen, sich so gut wie möglich anzupassen und allen Regeln zu fügen. Man versuchte am Hof, das unerfahrene Mädchen zu einer Kaiserin zu formen.
Sisis natürliche Schönheit und ihre bezaubernde Ausstrahlung machten sie bei der Bevölkerung beliebt wie kaum eine Kaiserin zuvor. Doch diese Ausstrahlung wurde immer mehr zur Fassade: Sisi begann, seelisch zu zerfallen und sich in die Melancholie zu flüchten. Oft zog sie sich zurück und drückte ihren Kummer und ihre unerfüllte Sehnsucht nach Freiheit durch dichten aus. Im laufe der Zeit häuften sich zahllose Gedichte an, welche später Aufschluss über Elisabeths Gefühlswelt geben sollten. Ihr einziger Trost war ihr Ehemann Franz Joseph, den sie aufrichtig liebte.
Aber auch dieser Trost hielt sich in Grenzen, war der Gatte doch ständig beschäftigt. Sisi gebar ihm zwei Töchter, Sophie und Gisela. Sophie starb jedoch bereits mit zwei Jahren – es war der erste grosse Schicksalsschlag für die Kaiserin. Ein mit Freuden erfüllter Moment brachte das Jahr 1858, als Sisi in Schloss Laxenburg den lang ersehnten männlichen Nachkommen zur Welt brachte, Kronprinz Rudolf.
(Vermeintlicher) Entzug ihrer Kinder und Krankheit
Die Freude wurde jedoch bald getrübt: Das Kind wurde – wie auch schon Sophie und Gisela – der Mutter entzogen und der Obhut Erzherzogin Sophies unterstellt, welche den Kindern eine Erziehung erteilen wollte, wie sie kaiserliche Nachkommen ihrer Ansicht nach erhalten müssen, denn Elisabeth empfand sie als zu jung und ungeeignet für diese Aufgabe. Sisis Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter verschlechterte sich zusehends, so besagt es zumindest die populäre Überlieferung dieses Abschnittes in Sisis Leben. Moderne Biografen jedoch sind nach der eingehenden Auswertung von Sophies Tagebuch und der Korrespondenz zwischen Sisi und der Kaiserinmutter überzeugt, dass der Kindesentzug weitgehend ins Reich der Legenden gehört und das Verhältnis zwischen den beiden Frauen nicht ein so schlechtes war, wie allgemein geglaubt wird. Es liegen beispielsweise Dokumente vor, in denen Sophie beim Kaiserpaar um Erlaubnis bittet, ihre Enkelkinder besuchen zu dürfen.
Fakt bleibt, dass Sisi ein untypisches Verhältnis zu Kleinkindern hatte. Sie konnte sie sprichwörtlich nicht riechen. Sie verabscheute den Duft von Babys. Selbst denjenigen ihrer eigenen. Möglicherweise war es ihr nicht mal so unrecht, dass Sophie zu den Kindern schaute. Später fand Sisi zwar den Zugang zu ihren Kindern und brachte ihnen aufrichtige Liebe entgegen. Doch bis es soweit war, waren die Kleinen schon längst aus dem Säuglingsalter raus.
Sisis Liebe zu Franz Joseph beruhte von Anfang an auf Gegenseitigkeit. Dennoch litt sie unter seinem übertriebenen Pflichtbewusstsein und seiner Arroganz. Er hatte eine gewisse Kaltblütigkeit von seiner Mutter geerbt und liess dies seine Frau nicht selten spüren. Es kam soweit, dass Sisi 1860 aus Wien flüchtete, nachdem sich Frauengeschichten ihres Mannes gehäuft hatten. Sie ging auf Reisen und kehrte oft monatelang nicht nach Wien zurück. Kam hinzu, dass Sisi an einer Krankheit litt, die von den Hofärzten als „Lungenschwindsucht“ deklariert wurde. Mit grosser Wahrscheinlichkeit dürfte es sich dabei jedoch um eine Geschlechtskrankheit gehandelt haben, die sie sich bei ihrem Mann eingefangen hatte.
Auf ihren Reisen wurde Sisis gesundheitlicher Zustand stabiler. Sie liess sich für längere Zeit auf Madeira, Venedig und danach auf der griechischen Insel Korfu nieder. 1861 kehrte sie auf Drängen des Wiener Hofes widerwillig in die Kaiserstadt zurück. Elisabeth war zu dem Zeitpunkt schon lange nicht mehr das naive Mädchen wie anfänglich, sondern eine selbstbewusste junge Frau.
Sisi hegte eine innige Liebe zu Ungarn und dessen Kultur und Sprache. Das Land war dem österreichischen Staat jedoch schon lange ein Klotz am Bein, denn Ungarn wollte die Unabhängigkeit – erfolglos. Erzherzogin Sophie lehnte alles ab, was mit Ungarn zu tun hatte, was für die staatlichen Beziehungen doppelt schlecht war. Um 1866 fand sich das Habsburgerreich in einer ernsthaften Krise, ein Auseinanderbrechen des Vielvölkerstaates zeichnete sich ab. Jetzt setzte sich Sisi mit aller Kraft für ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Österreich und Ungarn ein, indem sie den Zuspruch gewisser Rechte und Freiheiten für den ungarischen Staat forcierte.
Sie erreichte, dass Ungarn eine gleichberechtigte Nation wurde mit Budapest als Hauptstadt, die der Kaiserstadt Wien ebenbürtig war. Die österreich-ungarische Doppelmonarchie (k.u.k.) war entstanden. 1867 wurde das österreichische Kaiserpaar in Budapest zum Königspaar gekrönt. Die Ungarn verehrten ihre neue Königin. Im Folgejahr brachte Sisi ihr viertes Kind zur Welt, Erzherzogin Marie Valerie. Das Mädchen stand ihrer Mutter näher als ihre Geschwister, wurde von Sisi in der ungarischen Sprache erzogen und verbrachte die meiste Zeit mit ihr in Schloss Gödöllö bei Budapest.
Schönheitswahn, Schickalsschläge, Rastlosigkeit, Todessehnsucht
Trotz der Errungenschaft des Völkerverständnisses war Sisi der Politik abgeneigt und beschäftigte sich viel lieber mit sich selbst. Sie war für ihre Schönheit bekannt, die bald ihren gesamten Tagesablauf bestimmte. Ihr grösster Stolz war ihre Haarpracht, die bis zu ihren Fersen reichte und die oft Stunden der Pflege in Anspruch nahm. Um ihre extrem schlanke Figur zu halten, trieb sie eifrig Sport, lief kilometerweit, hielt strengste, sehr einseitige Diät und zwängte sich in enge Korsette, die sie bis aufs Maximum zuschnürte. Sie war das, was heute als magersüchtig bezeichnet wird. Ihrer Gesundheit hat sie damit freilich keinen Gefallen getan, wie sich später zeigen sollte: Ihr Leibarzt wird 1897 ein geschwächtes und vergrössertes Herz sowie eine wässrige Blutbeschaffenheit feststellen.
Sisi war ihrem Schönheitswahn derart verfallen, dass sie oft allein deswegen ihre Pflichten am Hof vernachlässigte. Sie fühlte sich nicht schön genug, um sich dem Volk zu zeigen. Sie unternahm lange Gewaltmärsche, von denen sie selbst das ärgste Hundewetter nicht zurückhielt. Mehrere ihrer Hofdamen quittierten ihren Dienst, weil sie diese Strapazen nicht mehr mitmachen wollten.
Elisabeths Ehrgeiz, der mit Egozentrik und Egoismus einherging, schlug sich nicht nur bei ihrem Aussehen nieder, sondern auch beim Reitsport. Wie besessen unternahm oft fast endlose Ritte durch die ungarischen Ebenen. Vor waghalsigen Reitmanövern schreckte sie nie zurück, was ihr Mann und der Hof natürlich höchst ungern sahen. Eine Königin und Kaiserin darf sich nicht leichtsinnig in Gefahr bringen. Sisi wurde nachgesagt, die beste Reiterin Europas zu sein. Als jedoch rheumatische Beschwerden das Reiten für Elisabeth unmöglich machten, gab sie sich ihrer zweiten grossen Leidenschaft, der Poesie, hin. Sie verehrte ihr grosses Vorbild Heinrich Heine abgöttisch und verfolgte das Ziel, nicht nur als Kaiserin, sondern auch als grosse Dichterin in die Geschichte einzugehen. Später deklarierten Experten Sisis poetische Werke zwar als künstlerisch nicht wertvoll, jedoch geben sie Aufschluss über ihre Person.
Elisabeth zog sich immer mehr vom Hof zurück. Das Verhältnis zu ihrem Mann war so gut wie keines mehr, beide Eheleute hatten sich nichts mehr zu sagen, obwohl der Kaiser seine Frau nach wie vor vergötterte. Franz Joseph hatte nie gelernt, was ein inniger Gedankenaustausch ist. Somit fand ein solcher auch zwischen ihm und seiner Frau nicht statt. Wie sollte eine Frau dauerhaft bei einem solchen Mann bleiben und glücklich sein? Um Franz Josephs Einsamkeit zu mildern, führte Sisi ihm eigenhändig die Schauspielerin Katharina Schratt zu, welche für ihn eine herzliche Lebensgefährtin wurde.
Entgegen der allgemeinen Auffassung geschah es im Laufe von Sisis rastlosen Jahren jedoch, dass sie und ihr Mann einander wieder näher kamen – wenn auch auf einer ganz anderen Ebene als auf der ehelich-liebenden. Beispielsweise begleitete Franz Joseph seine Frau im Februar 1893 nach Territet am Genfersee. Von dieser gemeinsamen Reise wird von Harmonie und ungetrübtem Beisammensein berichtet. Der Fundus an Briefverkehr zwischen Franz Joseph und Sisi offenbarte sogar, dass das Verhältnis zwischen den beiden Eheleuten in den letzten Lebensjahren Elisabeths gar von grosser Innigkeit, Vertrauen und gegenseitiger Wertschätzung geprägt war. Nicht mal vorübergehende Misstimmungen gab es mehr zwischen den beiden.
Wie bereits erwähnt, war Sisis Leben von einer Reihe von Schicksalsschlägen geprägt, die mit dem frühen Tod ihrer ersten Tochter Sophie begonnen hatte. Im Jahr ihrer Krönung zur ungarischen Königin wurde ihr Schwager Maximilian I., Kaiser von Mexiko, von Aufständischen erschossen. Im Jahre 1886 ertrank einer ihrer engsten Freunde, ihr Vetter König Ludwig II. von Bayern, unter bis heute ungeklärten Umständen im Starnbergersee. Drei Jahre später nahm sich ihr Sohn Rudolf mit seiner Geliebten Mary Vetsera in Schloss Mayerling das Leben. Dies war der härteste aller Schicksalsschläge, Sisi hat ihn niemals verarbeiten können, zumal sie sich an der Tragödie mitschuldig fühlte.
Spätestens jetzt begann Sisis Rastlosigkeit. „Die Seemöve passt nicht ins Schwalbennest. Mir ist ein ruhiges glückliches Familienleben nicht bestimmt“, sagte sie einst. Elisabeth war in ihren letzten 15 Lebensjahren ununterbrochen auf Reisen. Biarritz, Miramar, Baden-Baden, Kissingen, Ischl, Korfu, Tunesien, Gödöllö, München, die Schweiz, Paris, England, Irland… kreuz und quer durch Europa zog die rastlose Monarchin. Wenn sie im Habsburgerreich irgendwo einigermassen mit Freude Halt machte, dann war dies im Hause Marie Valéries. Diese jedoch beklagte zunehmend die düstere, depressive, ja oft todessehnsüchtige Stimmung ihrer Mutter und deren wachsenden Wunsch nach Zurückgezogenheit und Einsamkeit. „Es ist zu traurig, dass sie sich mehr und mehr von allem abschliesst. Schon das gemeinsame Frühstück ist ihr ermüdend“, vermerkt Marie Valérie. „Leider will Mama mehr denn je allein sein und spricht fortwährend nur von traurigen Dingen.“
Ein letzter harter Schlag traf die schwermütige, todessehnsüchtige Kaiserin am 5. Mai 1897, als ein Telegramm aus Paris vermeldete, dass ihre Schwester Sophie vermutlich unter den Opfern einer fürchterlichen Brandkatastrophe sei. Ein defekter Kinematograph an einem Wohltätigkeitsbazar hatte eine tödliche Feuersbrunst entfacht. Sophie sei jedoch noch nicht aufgefunden worden in der Brandruine, hiess es in der ersten Nachricht. Am Abend desselben Tages kam schliesslich die erschütternde Meldung über den Fund der fast zur Unkenntlichkeit verbrannten Leiche Sophies. 120 Menschen kamen bei dieser Tragödie ums Leben.
Die Trostlosigkeit von Elisabeths Leben und ihre seelische Leere wurden mit zunehmendem Alter schlimmer. Sie liess sich nicht mehr fotografieren – es gibt die eine oder andere seltene Ausnahme – und versteckte ihr faltig gewordenes Gesicht und vor allem ihre schlechten Zähne hinter ihrem Fächer oder einem Schleier. Kränklichkeit und physische Gebrochenheit addierten sich zu ihrem anhaltenden Kummer. Ihr Gang war langsam und müde geworden, und doch hinderte sie selbst dies nicht, weiterhin endlose Spaziergänge zu unternehmen.
Wie unerträglich Sisi das Leben geworden ist, hält Marie Valérie in folgender Tagebuchnotiz fest: „Die tiefe Traurigkeit, die Mama früher doch nur zeitweilig umfing, verlässt sie jetzt nie mehr. Da gibt es keinen, auch nur vorübergehenden Sonnenblick mehr – alles ist düster, alles ist trostlos. Die beiden Worte hoffen und sich freuen hat Mama für immer aus ihrem Leben gestrichen. Ihre physische Kraft war eben ihre grösste Freude – und diese Kraft hat sie verlassen.“
Der erlösende Tod ist jetzt endgültig zu Elisabeths Ziel geworden. Nichts fürchtete sie weniger als ihn, denn sie konnte sich nicht vorstellen – wie sie selbst sagte –, dass es eine Macht gebe, die so grausam wäre, mit einem solchen Leiden wie dem ihren nicht genug zu haben, sondern auch noch die Seele aus einem Körper herausreissen würde, um diese weiter zu foltern. Auch aus Sisis Gedichten dieser Jahre geht hervor, dass sie selber des Lebens müde geworden war.
Tod in Genf und Bestattung in Wien
1898 reiste Elisabeth mehrmals in die Schweiz – wie üblich war sie ohne persönlichen Schutz unterwegs; heutzutage für eine Person diesen Status‘ undenkbar. Da die Helvetische Republik damals eine Aufenthaltshochburg für Anarchisten war, bedeutete dies für gekrönte Häupter allgemein eine ernste Gefahr. Doch die Berge und das Klima am Genfersee empfand Elisabeth als wahre Wohltat, so dass sie dieses Risiko in Kauf nahm. Auch im September genannten Jahres weilte die Kaiserin im Waadtland und residierte im Grand Hotel in Caux. Eine Schifffahrt brachte sie am Samstag, 9. September, mit ihrer Begleitdame Irma Gräfin Sztáray nach Genf, wo sie im Hotel Beau Rivage nächtigte. Um nicht erkannt zu werden, war Elisabeth inkognito als „Gräfin Hohenembs“ unterwegs, aber man wusste dennoch, wer sie in Wirklichkeit war.
Als Sisi am Sonntag, 10. September 1898, mit ihrer Begleiterin das Hotel um 13.35 Uhr verliess und das Schiff besteigen wollte, welches sie zurück über den See nach Territet bringt, näherte sich ihr etwa 200 Meter vom Hotel entfernt in der Allee auf dem Quai du Mont Blanc auf der Höhe des Hotel de la Paix ein Mann – Luigi Lucheni, ein 25-jähriger Anarchist. Er bewegte sich strauchelnden Schrittes auf die beiden Damen zu, zog eine dünne geschliffene Feile hervor und stiess sie Elisabeth in die Brust. Die Kaiserin fiel zu Boden. Das alles ging sehr schnell vor sich, so dass niemand einordnen konnte, was soeben geschehen war. Herbei geeilte Passanten halfen Elisabeth auf die Füsse. „Es ist mir nichts geschehen“, sagte sie. Elisabeth bedankte sich mehrsprachig und bestieg mit ihrer Hofdame leichten Schrittes das Schiff. Sie mutmasste, dass der junge Mann ihr wohl die Uhr stehlen wollte.
Auf dem Schiff aber sagte Elisabeth plötzlich mit keuchender Stimme zu Irma Sztáray: „Jetzt Ihren Arm. Schnell, bitte!“ Die tödlich verletzte Sisi fiel auf die Knie und sank schliesslich ohnmächtig und totenblass in Sztárays Arme. Diese schrie verzweifelt nach einem Arzt. Noch einmal kam Elisabeth kurz zu Bewusstsein, öffnete die Augen, schaute wie im Delirium um sich, richtete sich mit Sztárays Hilfe sitzend auf und fragte: „Was ist denn mit mir geschehen?“. Es waren ihre letzten Worte, sie fiel erneut in Ohnmacht und kam nicht mehr zu Bewusstsein. Dann öffnete Sztáray Sisis Bluse und das Seidenmieder, um ihr das Atmen zu erleichtern. Da erst entdeckte man auf Herzhöhe einen kleinen Blutfleck auf dem Batisthemd und somit die lethale Verletzung.
Sisis Herz wurde von der Feile nicht durchbohrt, sondern „punktiert“. Dies kann zur Folge haben, dass die betroffene Person noch eine Zeit lang bei Kräften und handlungsfähig ist. So blieb die Verletzung vorerst unbemerkt, und Elisabeth schaffte noch den Weg bis aufs Schiffsdeck. Die leblose Kaiserin wurde zurück ans Ufer und in die Hotelsuite gebracht. Irma Sztáray indes telegrafierte umgehend nach Wien: „Ihre Majestät die Kaiserin schwer verwundet“. Um 14.40 Uhr konnte der Arzt nur noch Elisabeths Tod feststellen. Das zweite Telegramm Sztárays nach Wien folgte ummittelbar: „Ihre Majestät die Kaiserin soeben im Hotel Beau Rivage verschieden.“
Luigi Lucheni flüchtete nach dem Attentat in die Rue des Alpes, konnte dort jedoch von Passanten überwältigt und von der Genfer Polizei verhaftet werden. Er gab an, nach Genf gekommen zu sein, um Prinz Heinrich von Orléans, Thronprätendent von Frankreich, zu töten. Alternativ wollte er König Umberto von Italien umbringen. Da er aber weder diesen noch jenen lokalisieren konnte, habe er die nächstbeste Hoheit umgebracht. Man konnte seiner Aussage aber keinen Glauben schenken, denn seit Mai 1898 hielt sich Lucheni in Lausanne auf, wo er sich einer Gruppe von Anarchisten angeschlossen hatte. So vermutete man einen gezielten Mordkomplott gegen die österreichische Kaiserin. Lucheni wurde zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt und beging im Oktober 1910 in seiner Zelle Selbstmord. Seine Worte „Ich bereue nichts!“ sind in die Geschichte eingegangen.
Am frühen Morgen des Montag, 11. September, verliess ein Extrazug die Kaiserstadt in Richtung Genf. An Bord waren Graf Bellegarde, Obersthofmeisterin Maria Theresia Gräfin Harrach und Elisabeths ehemalige Hofdame Marie Gräfin Festetics. Am 13. September wurde Elisabeths Leichnam in Genf eingesegnet, und am Folgetag mit dem Extrazug nach Wien gefahren, Ankunft am 15. Septamber. Der Sarg wurde unter Beisein einer riesigen Menschenmenge in die Burgkapelle zur Aufbahrung gebracht. Er blieb geschlossen.
Am 16. September wurde in der Burgkapelle eine Messe abgehalten. Scharen von Menschen strömten ins Gotteshaus, um von ihrer Kaiserin Abschied zu nehmen. Der Chor sang dazu das „Miserere“. Nach einer weiteren Messe am 17. September wurde der Sarg Elisabeths um vier Uhr nachmittags in die Kapuzinergruft überführt. Am 18. September reiste Elisabeths jüngere Schwester Mathilde Ludovica an und liess – um von Sisi Abschied zu nehmen – vom Kapuziner Pater Guardian das Sargfenster öffnen. Zu diesem Zeitpunkt war der Leichnam der Kaiserin bereits entstellt.
Denkwürdig und gleichsam rührend wie verstörend ist ein Zitat in Elisabeths Tagebuch, das sie wenige Tage vor ihrer Ermordung niedergeschrieben hat: „Ich möchte, dass meine Seele durch ein kleines Loch in meinem Herzen in den Himmel kommt.“ Nicht weniger ergreifend ist eine Äusserung Elisabeths, die sie einst für Marie Valérie hörbar vor sich hergesungen hatte: „Und wenn ich einmal sterben muss, so legt mich an das Meer.“ Obschon es sich beim Genfersee nicht um das Meer handelt, sagte Elisabeth noch zwei Tage vor ihrem Tod zu Irma Sztáray, sehnsuchtsvoll auf die Weiten des silber-blau glizernden Genfersees hinausblickend: „Es ist ganz die Farbe vom Meer, ganz wie das Meer…“
Der Mythos Sisi
Kaiserin Elisabeth von Österreich ist heute hauptsächlich als Sisi (auch Sissi) bekannt und zu einem der grossen Mythen der Weltgeschichte geworden. Kaum eine andere Monarchin wird posthum so erfolgreich und flächendeckend vermarktet wie Elisabeth von Österreich. Millionen von Besuchern aus der ganzen Welt kommen nach Wien, um sich auf die Spuren der zweitletzen Habsburger-Kaiserin zu begeben, sei es nach Schönbrunn, ins Sisi-Museum, in ihre Gemächer in der Hofburg oder an ihre letzte Ruhestätte in der Kaisergruft, wo ihre sterblichen Überreste in einem prominent platzierten Sarg bestattet sind – neben ihrem Ehemann Kaiser Franz Joseph und ihrem Sohn Kronprinz Rudolf.
Spätestens seit der Sisi-Trilogie mit Romy Schneider aus den Jahren 1955 bis 1957 ist Elisabeths Geschichte Kult schlechthin, obwohl die Spielfilme bei weitem nicht der Wahrheit entsprechen. Im Gegenteil: Sie geben ein verklärt-kitschiges und übertrieben romantisches Bild von Elisabeths Ehe und auch ihrem Aussehen wieder. Einzig die Umgebung, der „goldene Käfig“, ist in diesen Filmen authentisch. Die wahre Elisabeth lernt man lediglich durch das eingehende Studium zeitgenössischer Dokumentationen von Personen aus ihrer unmittelbaren Umgebung kennen, doch auch selbst dann nur annähernd – wenn überhaupt. Sisis Lieblingstochter Marie Valérie bringt es in ihrem Tagebuch treffend auf den Punkt: „Es hat nie ein gutes Bild von Mama gegeben. Kein naturwahres Portrait. So ist es mit allem, was über Mama gesagt und geschrieben wird.“
Elisabeth von Österreich wird für immer eine der rätelhaftesten, am wenigsten verstandenen und – vor allem – tragischsten Figuren der jüngeren europäischen Geschichte bleiben.