Michael Pamer (1782-1827)

planet-vienna, der komponist michael pamer

Der Wiener Walzer ist heute wohl weltweit der Standardtanz Nummer eins. Als Erfinder dieser höchst populären Tanzform gilt der auch als „Vater des Wiener Walzers“ bekannte ehrwürdige Joseph Lanner. Doch wo ein Vater ist, da muss auch ein Grossvater sein. Der Titel „Grossvater des Wiener Walzers“ gebührt demjenigen Biedermeier-Mann, in dessen Orchester Lanner Mitglied war, Lanners Vorbild, der dem genialen Walzervater den Weg für die Weiterentwicklung und die Perfektionierung der Walzerform geebnet hat: Michael Pamer. Fakten über dieses Genie sind nur wenige vorhanden, was lediglich eine bruchstückhafte Biographie ermöglicht.

Pamer wurde am 3. September 1872 in Neulerchenfeld geboren. Der kleine „Michel“ erblickte das Licht der Welt in einem äusserst ärmlichen Umfeld. Über die familiären Verhältnisse weiss man nichts. Vermutlich gehörten seine Eltern zur mittellosen Arbeiterschicht und hatten täglich zu kämpfen, die Familie über Wasser zu halten. Diese Zustände verlangten es, das Michael bereits als Kind sein eigenes Geld verdienen musste. Er dürfte schon früh das Musikhandwerk erlernt haben – wo, wann und wie liegt ebenfalls im Dunkeln.

Man weiss, dass Pamer bereits in jungen Jahren die Tochter einer Bürgerfamilie aus dem Schottenfeld ehelichte und mit ihr jahrelang im Haus an der damaligen Zieglergasse Nummer 89 im heutigen 7. Bezirk wohnte. Frau Pamer soll eine lebensfrohe Frau, jedoch weitgehend ungebildet gewesen sein. Der Ehe entsprangen mehrere Kinder. Von einem Sohn ist bekannt, dass er später Parlamentarier geworden, dann jedoch schwer erkrankt ist. Das Pamersche Familienglück währte nicht lange. Die Familienverhältnisse verschlechterten sich kontinuierlich. Schuld daran dürfte Michaels Lebenswandel gewesen sein.

Überlieferungen zufolge feierte Pamer in Lokalen in der Rossau als Geiger und Kapellmeister erste musikalische Erfolge und wachsende Bekanntheit im zunehmend vergnügungssüchtigen Wien. Eine alte Wiener Musikschrift belegt, dass Pamer später als Musikdirektor mit einem „wohlbesetzten Orchester“ im Saal des Sperl in der Leopoldstadt regelmässig aufspielte. Pamer scheint der Kunst allgmein zugetan gewesen zu sein – nicht nur der Musik -, denn er soll fast täglich die Kunsthandlung Cappi & Diabelli am Graben besucht haben.

Die „Goldene Birn“ auf der Landstrasse, damals eines der bedeutendsten Wiener Vergnügungs-Etablissements, war ebenfalls eines der Stammlokale Pamers. Hier trat er zeitweise fast täglich mit seinem Orchester auf und spielte seine Kompositionen. Das Publikum tobte vor Lust und Ausgelassenheit. Pamer musste viele seiner Stücke 10 bis 20 Mal wiederholen. Er wurde dem wachsenden Durst der Wiener nach Unterhaltungsmusik gerecht und liess die Wiener Tanzsäle bis in die Morgenstunden mit seinen Ecossaisen, Eipeldauer-Deutschen, Tempeten und Walzern erbeben. Zwar teilte sich Pamer die Wiener Tanzparkette mit anderen bekannten Musikern der Biedermeierzeit wie Grünfeld, Hirtl, Faistenberger, Starzer, Pfister, Pensel oder Gruber, doch genoss Pamer vermutlich zusammen mit Faistenberger die grösste Bekanntheit in der vergnügungshungrigen Kaiserstadt.

planet-vienna, gedenktafel für den komponisten michael pamer
Gedenktafel an der heutigen Neustiftgasse 5

Sehr beliebt war auch seine Komposition „Selige Erinnerungen an das gute Hütteldorfer Bier“. In dieser Komposition widerspiegeln sich allerdings die tragischen Hintergründe dieses gegen aussen lebensfrohen Mannes. Der Schein trügte. Pamer galt bei den Leuten, die ihn persönlich kannten, als Sonderling. Er war dem Alkohol verfallen und sank zuweilen auf das Niveau eines wilden Tieres herab, wenn er sich wieder bis zum Umfallen hat vollaufen lassen. Die ganze Gage für seine Auftritte soll Pamer bereits beim folgenden Morgengrauen wieder versoffen haben. Er soll ebenso verfressen gewesen sein und pflegte es, in den Beisln stets die ganze Menukarte zu bestellen. Drei Stadien seines Rausches waren zu beobachten: Anfangs gab sich Pamer ausgelassen und übermütig. Mit der zunehmenden Alkoholmenge schlug seine Stimmung dann um in Frust und Traurigkeit, bevor er jämmerlich zu heulen anfing, so dass selbst seine engsten Freunde die Flucht ergriffen. Oft verharrte Pamer sturzbetrunken und am Boden zerstört im dunkelsten Winkel des Tanzlokals, bis schliesslich ein Angestellter sich erbarmte und den Musiker stützend aus dem Lokal geleitete. Pamer wohnte später an der heutigen Neustiftgasse 5. Eine Gedenktafel erinnert an den Standort des ehemaligen Hauses.

Dass Pamer auch mental reichlich angeschlagen war, zeigte sich darin, dass er seinem Umfeld immer wieder völlig unvermittelt davon berichtete, wie er vor längerer Zeit einen Kapuzinermönch ermordet habe. Dabei traten ihm die Tränen der Verzweiflung in die Augen. Zum übermässigen Alkoholgenuss und zur Völlerei gesellte sich Pamers Spielsucht. Mit Leidenschaft frönte er dem Lottospiel – gewonnen hat er nie. Dass unter diesen Umständen das Familienleben bald völlig auf der Strecke blieb, wundert nicht. Michael Pamer war eine tragische und bedauernswerte Figur.

Nichtsdestotrotz war Kapellmeister Pamer bald einer der hellsten Sterne am Wiener Musikhimmel, auch wenn er es wegen seines ungesunden Lebenswandels karrieremässig nicht über die Stadtgrenzen hinaus schaffte. Er brachte es jedoch zum k.k. Redoutendirektor. Seine elektrisierenden Tänze waren höchst gefragt. Selbst der Artaria-Verlag publizierte Pamers Kompositionen. In Musikprogrammen des Wiener Kongresses erschienen mehrere Tänze Pamers neben denjenigen von Beethoven und Schubert, was Pamers hohes Ansehen in Wien beweist.
Bald nahm Pamers erfolgreiches aber unglückliches Dasein eine noch unglücklichere Wende: Ein bösartiges Geschwür wucherte an Pamers Fingern, was ihm das Musizieren schnell verunmöglichte. Am 4. September 1827 starb der berühmte Tanzgeiger mit nur 45 Jahren im Allgemeinen Krankenhaus.

Michael Pamers Verdienst an der Entwicklung der Musik nach der Zeit Mozarts erhält heute zu Unrecht keine Beachtung. Vielmehr ist der Komponist fast gänzlich in Vergessenheit geraten. Es gibt mittlerweile vereinzelte Einspielungen seiner Werke, die sich jedoch an einer einzigen Hand abzählen lassen. Ein offizielles Werkverzeichnis gibt es nicht. Pamers Oeuvre umfasst jedenfalls zahlreiche Ecossaisen, Deutsche, Polonaisen, Ländler und natürlich Walzer. Seine früheren Werke sind noch auffallend nahe an der damaligen Volksmusik. Unter seinen späteren Kompositionen finden sich bereits klassische Formen grosser Konzertwalzer, bei welchen sich nach einer Einleitung mehrere Walzersequenzen und eine Coda anschliessen.
Bei Pamer trat erstmals die Trennung von Melodie und rhythmisierter Begleitstimme auf, was ebenfalls als wegweisend für die Entwicklung des Walzers galt. Deutlichstes Zeugnis der Wandlung öberösterreichischer Ländler zum städtischen Tanzwalzer sind Pamers „Linzer Tänze“ von 1819.

Michael Pamer kann als einer der ersten echt wienerischen Tanzgeiger des 19. Jahrhundert angesehen werden. Joseph Lanner und anschliessend auch Johann Strauss Vater haben seine Walzerform adaptiert und weiter entwickelt. Es bleibt zu hoffen, dass der Grossvater des Wiener Walzers früher oder später aus dem Dunkel der Vergessenheit hervortreten wird.