„Nikolsdorfer Schlössl“
5. Bezirk, ehem. Mittersteig 25 / Siebenbrunnengasse 1

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Gründe zwischen der heutigen Margaretenstrasse und der Wiedner Hauptstrasse nur sehr spärlich bebaut. Gärten, Wiesland und Äcker herrschten vor. Ein Grundbucheintrag von 1759 nennt Johann Christoph Freiherr von Löschenkohl (1718-1777) als Eigentümer der Landparzelle im Nikolsdorfer Grund, welche heute von Siebenbrunnengasse, Mittersteig und Hartmanngasse eingegrenzt wird und wo einst ein Haus mit Weingarten gestanden hatte. Löschenkohl ist biografisch nur spärlich erfasst. Er war Diplomat in Dresden und Wien, stand in Esterhazy’schen Diensten und besetzte später – in den Freiherrenstand erhoben – das Amt eines k.k. Hofrates und war Artillerie-Kanzlei-Direktor.
Löschenkohl liess für sich auf dem erworbenen Grundstück an Stelle des alten Hauses ein Lustschlösschen („Nickolsdorf Nr. 49“) errichten, möglicherweise bereits um 1740, wie in einer historischen Publikation zu lesen ist. Der Architekt des Gartenpalais – später auch „Nikolsdorfer Schlössl“ genannt – ist nicht überliefert. Dazugehörig war ein weitläufiger Lustgarten und gemäss Topographie von Friedrich Wilhelm Weiskern (1711-1768) eine Menagerie. Der Park war reich gestaltet mit Figurenschmuck, Blumen und Rasenparketten, Baum- und Buschwerk sowie „Wasserkünsten“. Löschenkohl erwarb im Jahre 1760 auch die Landparzelle gegenüber auf der anderen Seite des Mittersteiges – am so genannten „Nikolsdorfer Bergsteig“ –, wo er ein „Glas- und Zuhaus“ erbauen sowie einen Tiergarten anlegen liess.

(Wien Museum)

Nach dem Ableben Baron von Löschenkohls werden mehrere Adlige als Besitzer genannt, darunter um 1782 Franz Graf Esterhazy von Galantha und um 1810 Franz Simon Graf von Pfaffenhofen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts scheint sich ein Niedergang des einst prächtigen Gartenpalais abgezeichnet zu haben. In den letzten Jahrzehnten seiner Existenz wurde das Haupthaus als Mietobjekt benutzt und von „gewöhnlichen“ Bürgersleuten bewohnt. Im einstigen Wirtschaftstrakt zog u.a. ein Lederverarbeitungsbetrieb ein, und der Garten diente zuletzt als Lagerplatz eines Holzhandels- und Tischlerunternehmens. Zeitungsberichten zufolge soll das Hauptgebäude im 19. Jahrhundert zweimal von Feuer verwüstet und jeweils nur notdürftig wieder hergerichtet worden sein.
Abgebrochen und aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt
1882 wurde das Bezirsgericht Margareten geschaffen und in Mietbüros an der Wehrgasse 1 untergebracht. Allmählich reichten diese Räumlichkeiten nicht mehr aus, worauf die Justizverwaltung den Bau eines eigenen Amtshauses mit Arresttrakt beschloss. Man erwarb einen wesentlichen Teil des ehemalig Löschenkohl’schen Grundstückes am Mittersteig und liess das barocke Lustschlösschen im Jahre 1908 demolieren – vermutlich unter der Leitung des Architekten Anton Schwarz. Am 8. Juli 1908 starteten die Bauarbeiten für die noch heute existierende Justizanstalt Mittersteig, ein stattlicher Eckbau mit Heimatstil-Anleihen.
Das direkt angrenzende Grundstück an der Siebenbrunnengasse wurde zur selben Zeit vom israelitischen Verein Beth Aharon für den Bau einer Synagoge erworben. Der von Jakob Gartner entworfene, 1908 geweihte Kaiser Franz Joseph-Regierungsjubiläums-Tempel wurde 1938 im Zuge der Novemberpogrome zerstört. Heute steht hier eine gesichtslose Blockverbauung.

An das einstige Gartenpalais Löschenkohl erinnert nichts mehr. Auch die wenigen historischen Fotoaufnahmen des heruntergekommenen Gebäudes kurz vor dem Abriss sind spärlich oder gar falsch dokumentiert: Mitunter wird das Palais mit dem ehemaligen Margaretner Schloss verwechselt, welches einst ein paar Steinwürfe weiter Richtung Wienfluss gestanden hat. Einzelne historische Quellen bringen das Löschenkohl’sche Lausthaus auch mit Maria Theresia, Matthias Corvinus oder gar Margarete Maultasch in Verbindung, was aber jeglicher Grundlage entbehrt. Letztere wird auch im Zusammenhang mit dem einst ans Löschenkohl’sche Grundstück angrenzende „Zufriedenheits-Haus“ (Nikolsdorfergasse 44) genannt. Dessen Alter wurde zuletzt auf mehrere hundert Jahre geschätzt. Es wurde 1933 demoliert.
Das Gartenpalais Löschenkohl in der Kunst
Dass das barocke Lusthaus des Baron Löschenkohl in der heutigen Wien-Literatur praktisch inexistent und auch in den endlosen Weiten des Internets so gut wie nichts darüber zu finden ist, scheint insofern bemerkenswert, als namhafte Künstler des späten 19. Jahrhunderts das Gartenpalais in ihrem Oeuvre verewigt haben. Der bekannte Wiener Illustrator und Vedutist August Stefan Kronstein (1850-1921) hat eine Ansicht des Palais Löschenkohl gemalt, welche 1903 von der Stadt Wien angekauft worden ist.


Zudem existieren von Hans Götzinger (1867-1941), einer der herausragendsten Wiener Aquarellisten seiner Zeit, sogar zwei Ansichten des barocken Hauses Löschenkohl – eine strassenseitige und eine gartenseitige. Er hat sie vermutlich nach dem Abriss angefertigt. Bemerkenswert: Rückseitig sind beide Aquarelle bezeichnet mit „Schloss der Margarethe Maultasch, demoliert im Jahre 1908“. Beide Blätter sind im Dorotheum versteigert worden, fälschlicherweise als Ansicht des Margaretener Schlosses.
Und schliesslich existiert auch eine besonders interessante Abbildung aus den Händen von Franz Poledne (1873-1932), ebenfalls einer der führenden Wiener Aquarellisten. Zwei Jahre nach Abbruch des Löschenkohl’schen Lusthauses hat Poledne eine Gartenansicht abgebildet, so, wie der Park mit Schlösschen tatsächlich einst ausgesehen haben dürfte. Man schaut über einen barocken Lustgarten mit symmetrisch angelegten Parketten und einem flanierenden, galant gekleideten Paar. Dahinter erhebt sich die gartenseitige Fassade, links führt ein schmiedeeisernes Tor aus dem Garten respektive hinein. Links bildet Poledne das zum Mittersteig hin liegende Wirtschaftsgebäude ab.

Im Aquarell Franz Polednes klingt eine leise Wehmut an die vergangene Zeit mit, es ist eine posthume Reminiszenz an ein prächtiges Vorstadtpalais, von denen in der Peripherie des alten Wien einst zahlreiche existierten und von denen die meisten dasselbe Schicksal ereilte – sie alle sind verschwunden, die meisten vergessen. Die Tatsache, dass Künstler mit Rang und Namen das „Nikolsdorfer Schlössl“ in ihren Werken verewigt haben, lässt den Schluss zu, dass der opulent angelegte Adelssitz einst durchaus Rang und Namen hatte im gesellschaftlich-städtischen Kontext.

Architektur mit Wiedererkennungswert

Die wenigen Abbildungen des Palais lassen lediglich eine rudimentäre, äusserliche Baubeschreibung zu. Demnach bestand das Gebäudeensemble aus einem Haupthaus und einem baulich sich anfügenden Seitentrakt. Das Wohngebäude bestand im wesentlichen aus einem gebänderten Erd- und einem durch einfache Doppelpilaster gegliederten Obergeschoss. Der dreiachsige Mittelrisalit mit ausladendem Zeltdach und kleinen Lukarnen überragte die je zweiachsigen Seitenrisalite um ein Geschoss und verlieh dem Gebäude so seinen Charakter und Wiedererkennungswert. Über den Seitenrisaliten lagen auffallend hohe Attiken mit vertieften Rechtecksfeldern. Die drei zentralen Fenster der Beletage zum Garten hin waren rundbogig und in ihrer Gestaltung akzentuiert. Bemerkenswerterweise fällt auf, dass der linke Seitenrisalit des Hauptgebäudes strassenseitig um geschätzte zwei Meter zurückversetzt ist. Der rechte hingegen ist bündig mit dem Hauptrisaliten. Der im Strassenzwickel abgerundete Seitentrakt am Mittersteig zeigt sich auf der historischen Abbildung als eingeschossiger Baukörper mit sehr hohem Mansardenwalmdach und einer ganzen Reihe von Lukarnen.
Es ist bedauerlich, dass der verantwortlich zeichnende Architekt wie auch der Baumeister nicht überliefert sind. In seinem Erscheinungsbild erinnert das Hauptgebäude des Löschenkohls’chen Anwesens an die gartenseitige Fassade des einige Jahre später entstandenen Schlosses Hunyadi in Maria Enzersdorf. Ob dieses vielleicht vom „Nikolsdorfer Schlössl“ inspiriert ist? Leider ist auch im Falle von Schloss Hunyadi der Architekt nicht bekannt.