1. Bezirk, Minoritenplatz
Als der Babenberger-Herzog Leopold VI. der Glorreiche im Jahr 1219 auf seiner Heimreise vom fünften Kreuzzug in Assisi verweilte, bat er Franziskus, ihm einige „fratres minores – Minoritenbrüder – nach Wien zu senden. Fünf Jahre später trafen vier solcher „minderen Brüder“ in der Residenzstadt ein. Der Herzog schenkte ihnen ein Grundstück, auf dem bereits eine Kapelle – die damalige Katharinenkirche – stand. Hier sollten sie ein Kloster errichten.
In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts verwüsteten schwere Brände Teile der Stadt, wobei auch der Minoritenkonvent zerstört wurde. Dies veranlasste Ottokar II. im Jahr 1276 zum Bau einer neuen Kirche im französisch-gotischen Stil. Die Pläne stammten vermutlich vom französischen Minoritenbruder Jacobus von Paris. Herzog Albrecht II. unterstützte die Errichtung des aufwendigen Hauptportals finanziell und stiftete die Kreuzigungsgruppe im Tympanon.
Zu Beginn des 14. Jahrhunderts entstand der gotische Ludwigschor, der zeitweilig als Ruhestätte für einflussreiche Herrschaften und später als Wohnstätte diente. Der Bau der dreischiffigen Hallenkirche mit einschiffigem Chor dauerte vermutlich fast 90 Jahre. Die Schiffe des Langhauses sind gleich breit und werden durch kapitelllose Bündelpfeiler voneinander getrennt. Über dem Gewölbe liegt eine Art Oberkirche, die aufgrund einer zu geringen Tragfähigkeit des Bodens ungenutzt bleibt.
1529 erreichten die Türken zum ersten Mal Wien. Beim Beschuss der Stadt wurden die Turmspitze und andere Teile der Kirche zerstört. Einige Schäden sind noch heute am rechten Seitenportal zu erkennen. 1633 wurde die Turmspitze neu errichtet, doch fiel sie der zweiten Türkenbelagerung von 1683 zum Opfer. Anstelle des ursprünglichen Helmdachs erhielt der Turm jetzt ein flaches Dach. Der heutige oktogonale Turm ist 65 Meter hoch. 1784 übertrug Kaiser Joseph II. die Minoritenkirche der Italienischen Kongregation, woraufhin sie den Namen „Maria Schnee“ erhielt.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts entwarf Johann Ferdinand Hetzendorf von Hohenberg den monumentalen Hochaltar mit dem Bildnis „Maria Schnee“ von Christoph Unterberger. Hetzendorf nahm weitere Veränderungen an der Kirche vor, indem er etwa sämtliche barocken Elemente entfernte und den Ludwigschor abreissen liess. Während der Besatzungszeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Kirche als Stall und Warenlager genutzt. Zwischen 1902 und 1909 erfolgte der Anbau der Sakristei und des Arkadenganges. Am 1. Dezember 1957 wurde die Kirche wieder den Minoriten übergeben, bis diese 2019 in die Dreifaltigkeitskirche an der Alserstrasse umgesiedelt wurden. Seit 2021 ist die Minoritenkirche in Besitz der Priesterbruderschaft St. Pius X.
Mit ihrer 54 Meter hohen, teilweise asymmetrischen Fassade gehört die Minoritenkirche zu den ältesten und kunsthistorisch bedeutendsten Kirchen Wiens. Eine bekannte Sehenswürdigkeit ist die riesenhafte Mosaikarbeit „Das letzte Abendmahl“, eine Kopie von Leonardo da Vincis gleichnamigem Fresko im Kloster Santa Maria delle Grazie in Mailand. Es war eine Auftragsarbeit Napoléon Bonapartes an den italienischen Mosaizisten Giacomo Raffaelli. Das Werk misst 9,2 mal 4,5 Meter und wiegt rund 20 Tonnen.