Ein Beitrag in der „Luzerner Zeitung“ vom 23. Dezember 2021
Rund um den Erdball stehen sie bereits zur Adventszeit in den Stuben, vielerorts werden sie spätestens an Heiligabend hergerichtet – fein geschmückt mit glänzenden Kugeln, Lametta, Lebkuchen und allem, was das grenzenlose Dekorepertoire hergibt: Christbäume sind für Jung und Alt freudebringendes Inbild der Weihnachtszeit und für so viele Menschen mit purer Nostalgie einhergehend. Die Ursprünge des Christbaumes reichen Jahrhunderte zurück und sind gar in nordischen Heidenbräuchen zu suchen, wo man die Häuser im Winter mit Tannenzweigen behängte, um böse Mächte fernzuhalten. Und die Germanen pflegten es, zur Wintersonnwende Äste der Nadelbäume auszulegen, um Lebenskraft und Fruchtbarkeit zu begünstigen. Früheste Hinweise auf dekorierte Tannenbäume in christlichen Stuben – zumeist in Zunftkreisen – stammen aus dem späten 16. Jahrhundert im Raum Norddeutschland. Wenig später ist der bislang wohlhabenden Schichten vorbehaltene Brauch im Elsass nachweisbar. In Goethes Roman „Die Leiden des jungen Werther“ findet der Christbaum erstmals literarische Erwähnung: Goethe beschreibt, wie sein Hauptprotagonist an einem Sonntag vor Weihnachten einen Baum mit Kerzen, Zuckergebäck und Äpfeln schmückt.
Bis ins frühe 19. Jahrhundert jedoch blieb der dekorierte Weihnachtsbaum als Symbol für die Ankunft des Retters ein fast ausschliesslich protestantischer Brauch. Für die Katholiken hatte bis dahin die Weihnachtskrippe den entsprechenden Symbolgehalt.
Einzug in höchste Wiener Adelskreise
Wie der reich dekorierte Tannenbaum seinen grossen, weltumspannenden Siegeszug als christliches Weihnachtssymbol für die Katholiken gleichermassen wie für die Protestanten angetreten hat, dem liegt eine besondere, geradezu heitere Geschichte zugrunde, welche sich am Weihnachtsfest anno 1823 in einem einflussreichen Wiener Adelshaus zugetragen hat: Der habsburgische Erzherzog Carl von Österreich-Teschen (1771–1847) hatte im Jahr zuvor von seinem Adoptivvater Albert von Sachsen-Teschen (1738–1822) dessen Palais, das heute als «Albertina» bekannte Wiener Museum, geerbt. Carl war mit der protestantischen Henriette von Nassau-Weilburg verheiratet, welche nach der Eheschliessung nicht konvertierte.
Dies gefiel freilich nicht allen Habsburgern, die sich als glühende «Verteidiger und Hüter des Katholizismus» gaben. Nach ihrem Einzug ins geerbte Palais feierte die hochadelige Familie ihr erstes Weihnachtsfest mit einem geschmückten Baum. Henriette hatte ihn in ihrem Salon aufstellen lassen und somit das tief im protestantischen Glauben verankerte Weihnachtssymbol erstmals in höchsten Wiener Adelskreisen präsent gemacht.
Schliesslich erhielt Erzherzog Johann, Carls tiefgläubiger und gottesfürchtiger Bruder, Kenntnis von diesem «antikatholischen» Akt im Hause seines Vaters und berichtete davon aufgelöst Kaiser Franz, seinem anderen Bruder. Er beschrieb dem Regenten den Baum, wie er üppigst mit vergoldeten Nüssen, Obst, Zuckergebäck, sündhaft teuren Bienenwachskerzen und weiteren Kostbarkeiten behangen sei. Es dürfe doch nicht angehen, dass der «falsche Glaube» in Wien so verschwenderisch zugegen sei, erst recht nicht im nächsten Umfeld der Hofburg.
Symbol der Protestanten erhält die Kaiserwürde
Die eifrige Petzerei Erzherzog Johanns aber hatte nicht den erwünschten Effekt. Neugierig geworden, besuchte Kaiser Franz seinen Bruder Carl und dessen Familie im nahen Palais. Er betrachtete die Tanne und war von ihrer Schönheit ergriffen. Im Folgejahr liess der Kaiser auch in den Räumen der Hofburg einen Christbaum aufstellen und reichst schmücken. Und was der oberste Habsburger macht, hat hochoffiziellen Charakter. Dem Christbaum ist dadurch die kaiserliche Würde zuteilgeworden, und somit galt er faktisch von heute auf morgen auch bei den Katholiken als Symbol der Geburt Christi.
In der Folge hat sich der ursprünglich rein protestantische Brauch rund um den Globus etabliert. Noch heute wird jedes Jahr in Henriette von Nassau-Weilburgs Salon in der Wiener Albertina ein grosser Christbaum aufgestellt.