1. Bezirk, Dr.-Karl-Renner-Ring
Als im Jahr 1861 der Reichsrat ins Leben gerufen wurde, plante man zunächst den Bau zweier separater Gebäude: eines für das Herrenhaus und eines für das Abgeordnetenhaus. Doch mit dem Ausgleich von 1867 zwischen Österreich und Ungarn wurden diese Pläne verworfen. Stattdessen entschied man sich für ein einziges grosses Bauwerk, dessen Grundsteinlegung am 2. September 1874 erfolgte. Planender und ausführender Architekt für das Parlamentsgebäude war Theophil Hansen. Neun Jahre später bezogen die beiden Kammern des Reichsrates das neue Gebäude, das bis zum Ende der Österreich-Ungarischen Monarchie als Tagungsort diente. Für den Bau wurden Materialien aus nahezu allen Regionen der Monarchie verwendet, um das Zusammenwirken der „im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder“ symbolisch zu unterstreichen.
Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Parlamentsgebäude zur Unterkunft der Gauleitung, angeführt vom Reichsverteidigungskommissar Baldur von Schirach. Dieser liess sich in den Kellergewölben einen privaten Schiessstand einrichten. Bei Fliegeralarm flüchtete von Schirach in seinem Auto über die Thaliastraße stadtauswärts zu seinem Gefechtsstand am Gallitzinberg. Im Volksmund erhielt die Thaliastraße deshalb den sarkastischen Beinamen „Heldenstrasse“. Bombenangriffe während des Krieges zerstörten das Parlamentsgebäude fast zur Hälfte, wobei die grosse Säulenhalle besonders schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die kostbare Kassettendecke und das monumentale, 121 mal 2 Meter grosse Friesgemälde erlitten erhebliche Schäden. Beim Wiederaufbau wurde statt des ursprünglichen Pavonazzo-Marmors Salzburger Marmor verwendet. Das Friesgemälde konnte zunächst nicht rekonstruiert werden, eine teilweise Wiederherstellung gelang erst in den 1990er-Jahren. Viele weitere Schäden konnten nur annähernd im ursprünglichen Stil restauriert werden, wobei sich die Architekten bemühten, Hansens Ideen so authentisch wie möglich zu bewahren und weiterzuentwickeln.
Ein Tempel im Stil des griechischen Klassizismus
Heute erstrahlt das Parlamentsgebäude erneut in seiner vollen Pracht und erhebt sich majestätisch über die Wiener Ringstrasse. Die lange Säulenfront und die Dreiecksgiebel verleihen dem Bauwerk das Aussehen eines antiken Tempels im Stil des griechischen Klassizismus. Der reiche Figurenschmuck vor goldenem Hintergrund im Dreiecksgiebel über den Säulen stellt die Verleihung der Verfassung an die Völker der 17 Kronländer Österreichs durch Kaiser Franz Joseph dar. Zwei breite Auffahrten führen von links und rechts zum Hauptportal, vor dem der monumentale Athene-Brunnen steht. Die Göttin Athene, gekrönt und mit goldenem Brustpanzer, erhebt sich auf einer Säule, in der einen Hand einen Speer haltend. Als Göttin der Weisheit und Schutzpatronin der Wissenschaft und der Kunst symbolisiert sie die Erhabenheit dieses Ortes. Der Brunnen wurde von Karl Kundmann geschaffen.
Nach einer neuerlichen aufwendigen, knapp fünfeinhalb Jahre dauernden Gesamtsanierung und im Zuge dessen Ausquartierung des Betriebes in mehrere Provisorien auf dem Hofburg-Areal ist das Parlamentsgebäude im Januar 2023 feierlich wiedereröffnet worden.