3. Bezirk, Reisnerstrasse 55-57

1873 entstand an der Reisnerstrasse – mitten im heutigen Landstrasser Botschaftenviertel – ein repräsentatives Doppelwohnhaus nach Plänen von Wilhelm Fraenkel. Die Bauarbeiten leitete Josef Scholz. Unter der frühen Bewohnerschaft wird das böhmische Grafengeschlecht Mittrowsky von Mittrowitz genannt. Möglicherweise waren die Mittrowsky zugleich Bauherrschaft (nicht belegt), namentlich in Frage kommt Wladimir Graf Mittrowsky von Mittrowitz Freiherr von Nemissl (1814-1899), Grossgrundbesitzer und k.k. Kämmerer. Josephine Juliana Mittrowsky, eine Tochter des Grafen und dessen Frau Julia von Salis-Zizers, vermählte sich 1877 mit Hubert Graf d’Harnoncourt-Unverzagt (1850-1920). Das Paar wohnte mitunter im mittrowskyschen Familienpalais. Die Gräfin erlag hier im März 1895 an einer Lungenentzündung. Um die Jahrhundertwende wird Arthur Graf Henckel von Donnersmarck als Besitzer der Liegenschaft genannt. 1907 wird notiert, dass das Japanische Konsulat im Haus ein Büro hat. Im Mai 1908 zog dieses um an die Brucknerstrasse.
1915 ging das Palais Mittrowsky per Ankauf in den Besitz von Maximilian Fürst von Hohenberg über, ältester und zu dem Zeitpunkt erst 12-jähriger Sohn des im Jahr zuvor ermordeten kaiserlichen Thronfolger-Paares Erzherzog Franz Ferdinand und Sophie Chotek Herzogin von Hohenberg. Hauptaufenthaltsort von Maximilian und seiner beiden Geschwister Ernst und Sophie war Schloss Konopischt südlich von Prag. Das Palais an der Reisnerstrasse diente den hochadligen Vollwaisen als Wiener Wohnsitz, weshalb das Gebäude gelegentlich auch als „Palais Hohenberg“ angeführt wird.

Im Oktober 1935 bezog hier die Argentinische Gesandtschaft einige Räume. Drei Monate nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 trat das so genannte „Reichskulturkammergesetz“ in Kraft. Im Palais Mittrowsky, das weiterhin in hohenberg’schem Bestiz verblieb, war ab 1. Juni 1938 das Büro der Reichspressekammer respektive die Gewerkschaft der Journalisten Österreichs untergebracht. Im Jahr nach Kriegsende erhielt das Palais einen Dachstock aufgesetzt. Später war das Palais Mittrowsky Sitz der Norwegischen Botschaft, ehe diese 2005 an ihren heutigen Standort am Wiedner Gürtel übersiedelte. 2022/23 wurde das Palais saniert.
Reich gegliederte Fassade

Das eindrückliche, langgezogene Palais Mittrowsky respektive Hohenberg weist eine strenghistoristische Fassade mit Formen der Neorenaissance auf. Erdgeschoss und Hochparterre sind rustiziert. Über dem bemerkenswerten Doppelportal des minim hervortretenden, plastisch reich ausgestalteten Mittelrisalites liegt ein Doppelbalkon mit Balustrade auf Konsolen. Am Stockwerk darüber je ein stärker auskragender Balkon ähnlicher Gestaltung. Der gesamte Mittelrisalit ist mit Halb- und Vollsäulen durchgegliedert. Zwei Rundbogenfenster-Paare in der oberen Etage sowie antikisierende Frauenfiguren – davon zwei Vollplastiken in Nischen plus eine männliche Büste – sind weitere gestalterische Eigenheiten des Mittelrisaliten.
Die Beletage ist durch reiche Ädikulenfenster mit Balusterparapeten akzentuiert. Die beiden äussersten Achsen wiederum sind mit je einem Balkon auf flachen Konsolen und gerader Fensterverdachung versehen. Zahnfriese, Girlanden und kleine Lünetten verleihen den Risaliten zusätzliche Charakteristik. Die reiche, gekrönte und von Löwen flankierte Wappenkartusche am Balkon über dem Portal ist nicht mehr vorhanden.
Der Tiefe Fall Sir Cuninghames
Eine besondere Episode in der Geschichte des Palais Mittrowsky begann 1918, als Oberstleutnant Sir Thomas Montgomery Cuninghame vom Londoner War Office als Militräbeauftragter nach Wien gesandt wurde. Cuninghame war bereits während des Ersten Weltkrieges als Militärattaché in Wien und Athen stationiert gewesen. Nun sollte er nach Kriegsende in Wien und auch Ungarn die Interessen der Alliierten vertreten. Cuninghame wandte sich an Franz Ferdinands ältesten Sohn Maximilian Herzog von Hohenberg, welcher das Familienpalais an der Reisnerstrasse verwaltete. Wie die damalige Presse zu berichten wusste, versprach Cuninghame dem vorsichtigen und ängstlichen Herzog, er werde dafür sorgen, dass die vom Kriegsleid gezeichnete und zunehmend an Hunger leidende Bevölkerung keine Gefahr für den herzoglichen Besitz würde. Dafür verlangte Cuninghame das Wohnrecht im Palais.

Hohenberg stimmte zu, Cuninghame bezog das fast 50 Räume umfassende Palais, stattete es für ein Vermögen komplett neu aus und liess es sprichwörtlich krachen: Cuninghame verprasste Unsummen für edelste Speisen, Feste, Bälle und Saufgelage im gemieteten Haus, wie die Presse spöttlisch berichtete. Es sollen an mehreren Tagen pro Woche zwischen 140 und 160 Personen die ganze Nacht – darunter zahlreiche ungarische Adelsleute – bis in die frühen Morgenstunden im Palais ein- und ausgegangen sein. So wollen es die direkten Nachbarn beobachtet haben.
Doch der Übermut Cuninghames sollte sich rächen: Im Oktober 1921 verspekulierte sich der Diplomat an der Börse so arg, dass er sein gesamtes Privatvermögen innert weniger Tage verlor. Cuninghame wurde abberufen und seines Amtes enthoben. Seine Frau packte ihre Sachen und reiste nach England. Die Ehe wurde später geschieden. Auch Bekannte und Freunde wandten sich vom gefallenen Diplomat ab. Dann wurde auch noch ein persönlicher Kammerdiener Cuninghames von der hohenberg’schen Vermögensverwaltung des Diebstahls überführt, doch Cuninghames gelang es, dass die Anzeige zurückgezogen wurde.

Der Hauseigentümer Hohenberg aber hatte jetzt allmählich genug von seinem „Untermieter“, dessen Lebensstil einen Millionenschaden am Hausinterieur verursacht hatte. Hohenberg drohte dem Engländer mit einem Gerichtsprozess. Dazu schien es dann doch nicht gekommen zu sein. Nach dem Verkauf seiner drei Automobile soll Cuninghame Hohenberg läppische 150 Pfund Schadenersatz bezahlt haben. Aufgrund eines damals geltenden Mieterschutzgesetzes entkam Cuningham dem Rauswurf aus dem Mittrowsky-Palais und bewohnte ein einzelnes, spärlich eingerichtetes Zimmer im Haus. Cuninghame fand eine Anstellung bei Stone & Blyth an der Kärntner Strasse, eine im Modebereich tätige Firma mit Sitz im dortigen Palais Esterhazy, ehe er Mitte September 1925 nach London zurückkehrte.
