4. Bezirk, ehem. Prinz Eugen Strasse 36 / Heugasse
Der kunstbegeisterte Eugen von Miller zu Aichholz, Sohn eines wohlhabenden und geadelten Industriellen aus Südtirol, liess sich in den Jahren 1877 bis 1880 vom renommierten Wiener Architekten Andreas Streit ein repräsentatives Palais auf der Wieden errichten. Als passionierter Kunstliebhaber häufte der ungebundene Junggeselle eine beeindruckende Kunstsammlung an, die er in den grosszügigen Räumlichkeiten seines Palais angemessen zur Schau stellte. Das Vermögen der Familie Miller-Aichholz, welche ein eigenes Bankhaus Bankhaus betrieb, ermöglichte es Eugen, sich seiner Leidenschaft für Kunst uneingeschränkt hinzugeben.
Das Palais selbst war – ähnlich wie das in unmittelbarer Nachbarschaft gelegene Palais Albert Rothschild – ein imposanter Bau, dessen Haupttrakt von der Strasse zurückgesetzt war und zusammen mit den Seitentrakten einen Ehrenhof bildete, der durch ein prächtiges Eisengitter zur Strasse hin abgeschlossen wurde. Weniger Wert legte Eugen auf die gartenseitig gelegenen Zimmer, vielmehr standen für ihn die Repräsentationsräume in den Seitentrakten und im vorderen Haupttrakt im Mittelpunkt.
Besonders hervorzuheben war das monumentale Treppenhaus, das eigens für drei Kolossalgemälde des italienischen Barockmeisters Giovanni Battista Tiepolo konzipiert worden war. Diese Gemälde – von unschätzbarem Wert – waren Teil einer Serie von zehn grossformatigen Darstellungen aus der römischen Geschichte. Fünf dieser Werke befanden sich in der Stieglitzschen Zeichenakademie in St. Petersburg, während die übrigen fünf von Eugen Miller-Aichholz erworben wurden.
Nach dem Tod des zurückgezogen lebenden Hausherrn im Jahr 1919 erwarb der Industrielle Camillo Castiglioni, Sohn eines Rabbiners aus Triest, das Palais mitsamt der Kunstsammlung. Mit ihm zog ein völlig neuer Lebensstil in das nunmehrige Palais Castiglioni ein, geprägt von zahlreichen Festen und gesellschaftlichen Ereignissen. Doch Castiglioni geriet allmählich in finanzielle Schwierigkeiten, die ihn zwangen, Teile seiner Kunstsammlung zu versteigern. Zwei der kleineren Tiepolo-Gemälde gelangten ins Kunsthistorische Museum, während die drei grossen Werke im Treppenhaus in die Hände der jüdischen Familie Mendel und später in die USA übergingen. Heute hängen sie im Metropolitan Museum of Art in New York.
Nach dem Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland im Jahr 1938 nutzte Hanns Dustmann, der von Baldur von Schirach zum Reichsarchitekten für Wien ernannt worden war, das „arisierte“ Palais Miller-Aichholz als Arbeitsstätte. Dort entwickelte er Pläne für das zukünftige Wien, welches die Nazis als sicher erobert betrachteten. Im Gegensatz zu vielen anderen Palästen auf der Wieden wurde das Palais Miller-Aichholz im Krieg nur geringfügig beschädigt. Nach 1945 wurde es von der sowjetischen Besatzungsmacht beschlagnahmt. Als die Besatzungszonen 1955 aufgelöst wurden, zeigte niemand Interesse an dem Bauwerk. So fuhren 1961 die Spitzhacken auf und tilgten den Palast aus dem Wiener Stadtbild. Heute steht ein unansehnlicher grauer Wohnblock an der Stelle des einstigen Palais Miller-Aichholz.