1. Bezirk, Freyung 2

Der Ursprung des Palais Ferstel reicht ins Jahr 1651 zurück, als Ernst Graf von Abensperg und Traun die damals bestehenden Häuser an dieser Stelle erwarb, sie miteinander verband und zu einem repräsentativen Stadtpalais ausbauen liess. Das Anwesen war als „Palais Abensperg-Traun“ bekannt. Wer genau für Planung und Ausführung verantwortlich war, ist bis heute unklar; als wahrscheinlich gelten die Architekten Giovanni Pietro Tencala und Filiberto Lucchese.
Bereits ein Jahr nach der Fertigstellung wurde das Palais als erstes privates Gebäude Wiens an eine Wasserleitung angeschlossen. Diese Neuerung erregte grosses Aufsehen in der Stadt. Während der Zweiten Türkenbelagerung 1683 brannte das Gebäude vollständig nieder und wurde erst um 1700 neu errichtet. In den Jahren 1856 bis 1860 sollte es erneut weichen: Der bekannte Ringstrassenarchitekt Heinrich von Ferstel plante einen repräsentativen Neubau. Inspiriert von einer längeren Italienreise, orientierte sich Ferstel an der venezianisch-florentinischen Architektur des Trecento und setzte auf Werksteinbau.

Mit seinem Entwurf sorgte Ferstel für enormes Aufsehen: Das neue Palais galt als modernstes Gebäude Wiens. Ursprünglich sollte es die Österreichisch-Ungarische Nationalbank sowie die Wiener Börse beherbergen. Doch diese Institutionen bezogen bald andere Gebäude, und das Palais wurde anderweitig genutzt: In der einstigen Schalterhalle mit ihren imposanten Gewölben und Säulen eröffnete das Café Central. Auch ein Bazar sowie verschiedene Geschäfte fanden hier ihren Platz. Im Zweiten Weltkrieg erlitt das Palais Ferstel durch Bombentreffer schwere Schäden und wurde danach nur notdürftig instand gesetzt. Erst 1988 und 1989 erfolgte eine umfassende Restaurierung, bei der das Gebäude in alter Pracht wiederhergestellt wurde. Heute können die Räume für Veranstaltungen gemietet werden.
Glashof mit Passage

Das Herzstück des Palais ist der grosse Ferstelsaal, gestaltet im Stil des romantischen Historismus. Dominierende Elemente sind kunstvolle Kassettendecken, prächtige Luster und schlichte Parkettböden; die Farbgebung wird von einem eleganten Beigeton bestimmt. Der Saalgrundriss erinnert an den Bug eines Schiffs und vermittelt einen Hauch englischer Gotik. Angrenzend befindet sich der kleinere Ferstelsaal. Zentraler Raum des Palais ist der glasüberdachte Arkadenhof. Hier verschmelzen verschiedene Baustile, allen voran die Anklänge an die italienische Palazzo-Architektur, die dem Hof ein beinahe mediterranes Flair verleihen. Besonders herausragend ist die Feststiege aus reinstem Untersberger Marmor – ein architektonisches Meisterwerk.

Die sogenannte Freyung-Passage durchquert das Palais und verbindet die Herrengasse mit der Freyung. Direkt hinter dem Eingang an der Herrengasse öffnet sich ein hoher, runder Innenhof mit Arkadenfenstern und einer Glaskuppel. Im Zentrum des Hofes steht ein von Heinrich von Ferstel persönlich entworfener Brunnen mit einer Donaunixen-Figur. Die Passage setzt sich in einem langgezogenen, grosszügigen Korridor mit Gewölben und verzierten Schlusssteinen fort. Rundbögen und Pilaster gliedern die Seitenwände. Der Mittelteil ist ebenfalls glasüberdacht und lässt Tageslicht durch, das an den beigefarbenen Wänden reflektiert wird und die Passage in sanftes Licht taucht.
Beiderseits reihen sich Geschäfte. Die Fassade des Palais Ferstel wird durch eine Vielzahl von Rundbogenfenstern und Rundpilastern geprägt, die sich bis zum Dachgesims erstrecken. Besonders eindrucksvoll ist der Ecktrakt zur Herrengasse, wo Karyatiden im ersten Stockwerk auf Konsolen ruhen und das Gesims tragen, das die erste und zweite Etage trennt. Der Grundriss des Palais ist unregelmässig, da es sich in den spitzen Winkel zwischen Herrengasse und Strauchgasse einfügt. Zusammen mit dem Palais Harrach und dem Palais Hardegg, die jeweils regelmässige Grundrisse aufwiesen, bildet es einen beeindruckenden Gebäudekomplex.

