Michaelergruft

1. Bezirk, Michaelerplatz

Planet-Vienna; in der Michaelergruft (© Pfarre St. Michael)
© Pfarre St. Michael

Wie bei den meisten Kirchen früher der Fall, war auch die Michaelerkirche einst von einem Kirchhof umgeben, welcher um 1310 zum ersten Mal erwähnt, jedoch bereits um 1508 aufgelassen worden ist. Wegen der Nähe zum Kaiser liessen sich Angehörige einflussreicher Adelsgeschlechter in Familiengruften unter der Michaelerkirche bestatten. Wegen mangelnder Einnahmen geriet die Pfarre St. Michael jedoch allmählich in Geldnot . Erst als die Pfarre 1626 vom Barnabitenorden übernommen worden war, brachen wieder bessere Zeiten an. Die Michaelergrüfte wurden bis 1678 um ein Vielfaches erweitert. Neben den einzelnen Familiengrüften wurde unter anderem die so genannte Herrengruft angelegt für Adelsleute, die keine eigene Familiengruft besassen.

Planet-Vienna; in der Michaelergruft (© Pfarre St. Michael)
© Pfarre St. Michael

Eine weitere Gruft, die Pfarrgruft, war für Handwerksleute, Kaufleute und Hofbedienstete vorgesehen. Doch nicht nur höhergestellte Persönlichkeiten fanden hier ihren letzten Ruheort, sondern auch arme und einfache Bürger, die der Pfarre angehörten. Jede Gruft war über eine lange Zeit hinweg ausschliesslich durch eine mit einer schweren Marmorplatte verschlossenen Luke im Kirchenschiff zugänglich, denn erst nach 1759 wurden die meisten Grüfte miteinander verbunden. Es gibt jedoch bis zum heutigen Tage unerforschte Räume. Man weiss von mindestens sechs Grüften, die bislang entweder noch nie geöffnet oder aber verschüttet worden sind. Auch unter der Annakapelle vermutet man eine weitere Grabstätte, da sich hier der Boden langsam senkt.

Schliessung unter Joseph II.

Planet-Vienna; in der Michaelergruft (© Pfarre St. Michael)
© Pfarre St. Michael

Eine so genannte Sargrutsche führte einst vom Freien in die Gruft der spanischen Bruderschaft und diente gleichzeitig als Lüftung. Es war dies ein schräger Schacht, dessen Boden mit Brettern ausgelegt war, auf denen die Särge in die finsteren Gewölbe runterglitten. Dank der Rutsche konnte man die alten Zugänge im Kirchenboden verschlossen halten und somit den üblen Verwesungsgestank reduzieren, der aus dem Untergrund ins Kirchenschiff drang. 1783 untersagte Kaiser Joseph II. aus hygienischen und gesundheitlichen Gründen weitere Bestattungen in den Michaelergrüften. Bis zu diesem Zeitpunkt waren unter St. Michael rund 4000 Tote bestattet worden.

Planet-Vienna; in der Michaelergruft (© Pfarre St. Michael)
© Pfarre St. Michael

In der Michaelergruft reihen sich neben einigen barocken Zinnsärgen hauptsächlich schlichte Särge aus Holz, die mit Malereien versehen sind. Die Motive sind unterschiedlich, es herrschen Symbole der Vergänglichkeit vor – Totenschädel mit Blumenkränzen, Sanduhren oder gebrochene Lebenskerzen. Besondere Klimaverhältnisse in den Gewölben und weitere, bislang nicht vollständig erforschte Einflüsse hatten zur Folge, dass manche Leichen nicht verwesten, sondern austrockneten und mumifiziert wurden. Bei einigen Leichen erkennt man noch deutlich die Kleidung, in der sie beigesetzt worden sind – barocke Umhänge, Samtpantoffeln, höfische Kniehosen oder lange Kleider. Die Textilien sind jedoch nach wie vor dem Zerfall ausgesetzt.

Planet-Vienna; in der Michaelergruft (© Pfarre St. Michael)
© Pfarre St. Michael

Unter den unverwesten Leichen ist eine offenbar junge Frau, die hochschwanger bestattet worden zu sein scheint, was aber nicht erwiesen ist, denn genauso gut könnte die Frau an einem Tumor gelitten haben. Aus Gründen der Pietät hat man die Tote nie obduziert und untersucht. Der prominenteste Tote in den Michaelergrüften ist Pietro Metastasio (eigtl. Antonio Domenico Bonaventura Trapassi), ein italienischer Librettist, der um 1729 nach Wien kam und die Texte für Opern von Gluck und Mozart schrieb. Er starb am 12. April 1782 in Wien. Sein schwerer und aufwendig gestalteter Zinnsarg steht am vorderen Ende der Gruft exponiert aufgebahrt und wurde neuerlich restauriert. Dabei hat man festgestellt, dass der Leichnam Metastasios in einem unbemalten barocken Holzsarg bestattet ist, den man in den Zinnsarg gestellt hat.

In Wandnischen und Karnern liegen haufenweise Knochen und Schädel. Der Boden der Michaelergruft ist ein festgestampftes Gemisch aus Erde, Moder und menschlichen Knochen. Mehrmals wurden Teile der Gruft geräumt, wobei Kirchendiener die morschen Holzsärge aussortierten, die sterblichen Überreste darin auf den Boden kippten, mit Sand und Lehm überdeckten und feststampften. Dieser Knochenboden ist knapp 1.5 Meter mächtig. Man geht hier im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen.

Kampf gegen den Zerfall

Planet-Vienna; in der Michaelergruft (© Pfarre St. Michael)
© Pfarre St. Michael

Die heutige Ordnung in der Gruft verantworten die Salvatorianer, welche 1923 die Verwaltung der Michaelerkirche übernommen haben. Bomben im Zweiten Weltkrieg beschädigten Wasserleitungen unter dem Michaelerplatz, worauf Teile der Gruft überschwemmt wurden. Dabei dürften zahlreiche Särge zerstört worden sein. Zuweilen ist die Erhaltung der Grüfte gefährdet, denn hohe Luftfeuchtigkeit und Insekten – insbesondere der Rüsselkäfer „Pentarthrum huttoni“ – setzen der Anlage zu und beschleunigen den Zerfall der Särge.

Seit 1977 sind die Michaelergrüfte für die Öffentlichkeit zugänglich. Man ist bestrebt, den Besuchern die kulturelle Bedeutung dieses Ortes nahe zu bringen, der als einer der wenigen Orte einen so aufschlussreichen und authentischen Einblick in die Welt des Sterbens und Begrabenwerdens zur Zeit Maria Theresias und Josephs II. gewährt.