1. Bezirk,Michaelerplatz 3
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts plante die renommierte Schneiderfirma Goldman & Salatsch den Bau eines neuen Geschäftshauses. Ein Architekturwettbewerb wurde ausgelobt, doch keiner der eingereichten Entwürfe konnte die Jury überzeugen. So wurde im Jahr 1909 der Auftrag an den angesehenen Architekten Adolf Loos vergeben. Der im darauffolgenden Jahr fertiggestellte Rohbau erwies sich bald als Vorbote eines der grössten internationalen Architekturskandale. Loos verzichtete für die Fassade des Gebäudes gänzlich auf Ornamente – kein Fensterschmuck, keine Gesimse. Für den Archietekten waren Verzierungen nichts anderes als „eine Sünde“. Die Wiener Bevölkerung war bestürzt, wie soll so etwas „Gesichtsloses“ in den Verbund der Prachtbauten am Michaelerplatz und dann noch direkt gegenüber der Hofburg stehend passen?
Einer populären überlieferung zufolge soll sogar Kaiser Franz Joseph – obwohl er selbst eine Vorliebe für Schlichtheit hatte und dem Prunk entsgte – Loos‘ Gebäude so sehr abgelehnt haben, dass er die Vorhänge im gegenüberliegenden Michaelertrakt der Hofburg dauerhaft schliessen liess, um den Anblick des Neubaus zu meiden. Diese Anekdote ist zwar eher eine Legende, sie unterstreicht jedoch die allgemeine Abneigung, die dem Bauwerk entgegengebracht wurde. Ein Baustopp wurde schliesslich verhängt, aber 1912 wieder aufgehoben, nachdem Adolf Loos sich bereit erklärte, zumindest Blumenkästen aus Bronze an den Fenstern anzubringen. Zudem setzte sich der von den Wiener geschätzte Architekt Otto Wagner öffentlich für Loos und dessen avantgardistischen Stil ein, was zur Beruhigung der erhitzten Gemüter beitrug.
Das Sockelgeschoss des Gebäudes ist mit stark geädertem grünem Cipollinomarmor von der Insel Euböa verblendet, auch die vier massiven Rundsäulen, die den Bau tragen, bestehen aus demselben Material. Trotz der schlichten äusseren Erscheinung ist das von Loos vollständig entworfene Innere des Hauses mit den edelsten Materialien ausgestattet. Die Wände sind mit wertvollem Wurzelmahagoni und grossflächigen Spiegeln verkleidet, während die Lampen mit bewusst sichtbaren Glühbirnen sowie die Wandapplikationen und das Treppengeländer aus Messing gefertigt sind. Das Treppenhaus ist mit Marmorplatten verkleidet, der Innenhof ist weiss gefliest, im Stil eines Sichtbacksteinbaus. Die komplexe Raumaufteilung des Gebäudes, die damals nur dank der innovativen Stahlbetontechnik möglich war, wurde vom Wiener Baumeister Ernst Epstein gemeinsam mit Loos realisiert.
Über 30 Jahre hinweg sorgfältig restauriert
Nach dem Ersten Weltkrieg verschlechterte sich die Geschäftslage von Goldman & Salatsch zunehmend. In den 1920er-Jahren musste der Geschäftsinhaber Leopold Goldman Konkurs anmelden. Er, seine Frau Lillie, sein Sohn Fred und Schwiegersohn Emanuel Aufricht wurden im Zweiten Weltkrieg von den Nationalsozialisten ermordet. 1947 wurde das Looshaus unter Denkmalschutz gestellt. Ein erster Restaurierungsversuch der Fassade in den 1950er-Jahren misslang jedoch weitgehend, da Materialien minderer Qualität verwendet wurden.
1987 erwarb die Raiffeisenbank Wien das sogenannte „Haus ohne Augenbrauen“, wie es seit vielen Jahren im Volksmund genannt worden war. Ab 1989 wurde das Gebäude, das in den Jahrzehnten zuvor mehrfach verändert und an verschiedene Nutzungen angepasst worden war, umfassend renoviert und anhand von Loos‘ Plänen in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt. Diese anspruchsvolle Restaurierung, die dank aussagekräftiger historischer Fotografien und einiger zufälliger Funde möglich war, erstreckte sich über einen Zeitraum von fast 30 Jahren und gelang hervorragend.