„An Concerten hatten wir zuerst das Wiener Damenorchester. Die Leistungen desselben waren theilweise recht annehmbar, natürlich darf man an sie keine höheren Kunstforderungen stellen…“ Was der Kritiker im „Musikalischen Wochenblatt“ von Leipzig im November 1871 schreibt, widerspiegelt die damalige Wahrnehmung der Frau innerhalb der Gesellschaft. Der Autor rezensiert ein Konzert jener engesehenen Damenkapelle mit der Komponistin und Dirigentin Josephine Weinlich an der Spitze, welche zu dem Zeitpunkt bereits über einen hohen Leistungsausweis und internationale Bekanntheit verfügte. Immerhin hatte der Kritiker für die Orchesterleiterin selbst noch ein paar würdigende Worte übrig. Er schreibt: „Frl. Josephine Weinlich ist jedenfalls vorteilhaft zu erwähnen, sowohl als enerigsche Leiterin, wie auch als Komponistin von gefälligen, oft selbst piquanten Werken leichten Genres, als Walzern, Polkas etc.“
Josephine Weinlich wurde am 2. August 1848 im slowakischen Dechtiz als Tochter eines Kaufmanns und Laienmusikers geboren. Von ihrem Vater erhielt die den ersten Unterricht in Violine und Piano. Über die weitere Ausbildung Weinlichs ist kaum etwas überliefert. Ab den 1860er-Jahren ist die Familie in Wien nachweisbar, wo sie gemeinsam als Musikformation auftrat.
Eine Pionierin in Europa
1867 oder 1868 rief Josephine Weinlich eine Damenkapelle ins Leben, mit der sie am 13. August 1868 in der Hauptstadt als „Neues Wiener Damenorchester“ zum ersten Mal im grösseren Rahmen öffentlich auftrat – zunächst als Sextett. Weinlich gilt aus heutiger Sicht als Gründerin des ersten offiziellen Damenorchesters Europas. In der Öffentlichkeit gemeinsam musizierende Frauen – und dann noch auf hohem Niveau – war bisher etwas völlig Unkommunes gewesen und wurde deshalb in einigen Medien als „Kuriosum“ angepriesen. Es folgten regelmässige Konzerte mit Fokus auf leichte Unterhaltungsmusik in diversen namhaften Lokalitäten der Kaiserstadt. Dabei führte das Orchester zahlreiche eigenhändige Kompositionen Weinlichs auf. Sie schrieb Walzer und Polkas im damals typisch lieblich-wienerischen Stil, wobei sie musikalisch einige Anleihen bei Joseph Lanner und Johann Strauss Vater zu machen schien.
Weinlich und ihr Ensemble erreichten bald überregional ein respektables Renommée. Konzerttzournéen – erst kleinere im In- und nahen Ausland, dann ausgedehntere – brachten dem Orchester internationales Ansehen. Bereits 1869 ging Weinlich mit ihrem Ensemble auf Reise und besuchte unter anderem Prag, Dresden, Leipzig, Berlin, St. Petersburg, das Südtirol, die Schweiz und Bayern. Die Auftritte der musizierenden Frauen aus Wien wurden allenthalben gelobt und hinterliessen ein verzücktes Publikum, wie aus diversen Medienberichten hervorgeht. Dass Joephine Weinlich sich lange in einer von Männern dominierten Branche halten konnte, war nicht zuletzt der Haltung ihres Mannes, Musikdirektor Ebo Fortunatus Ritter von Amann, zu verdanken, den sie im Januar 1870 geehelicht hatte. Er unterstützte die Tätigkeit seiner Frau, stand ihr bei der Programmgestaltung zur Seite und übernahm schlisslich die Rolle als Direktor des Damenensembles. Im Herbst 1871 reiste Amann-Weinlich mit ihrem Orchester nach Amerika, gab zunächst in New York mehrere sehr erfolgreiche Konzerte und brach hier am 23. Septmber als siebenköpfige Formation auf für eine Tournée über Philadelphia, Washington, Baltimore und Pittsburg bis Kanada.
1874 umfasste die Damenkapelle Weinlich an die 33 Musikerinnen und trat unter anderem an der Weltausstellung auf. Im Verlauf des Jahrzehnts folgten weitere, teils ausgedehnte Konzertreisen. 1879 gelangte Josephine Weinlich mit ihrem Mann nach Lissabon, wo sich das Paar niederliess. Nachdem sie hier einige Zeit das städtische Orchester geleitet hatte, arbeitete sie hauptsächlich als Klavierlehrerin und Musikjournalistin. Am 9. Januar 1887 starb Josephine Amann-Weinlich in Lissabon im Alter von erst 38 Jahren an Tuberkulose.
Das talentierte Ensemble um die Geigerin Esther Abrami spielt den bezaubernden Weinlich-Walzer „Freie Gedanken“: