Café Jelinek

6. Bezirk, Otto-Bauer-Gasse 8

planet-vienna, café jelinek in wien

Um es gleich vorwegzunehmen: Mit der Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat dieses Kaffeehaus nichts zu tun. 1910 eröffnete eine jüdische Kaffeesiederfamilie das Lokal an der Otto-Bauer-Gasse 5 und betrieb es längere Zeit. Kultstatus in der Wiener Kaffeehausszene erlangte das Jelinek ab 1988. Nicht nur wegen seiner schrulligen Einrichtung, die seit jeher kaum modernisiert worden war, sondern vielmehr wegen dem Ehepaar Günther und Maria Knapp, welches hier ab dem genannten Jahr wirkte. Während Herr Knapp hauptsächlich in der Küche zum Rechten sah, mauserte sich Frau Knapp zum Hauptinventar im Jelinek. Viele Wiener denken noch heute mit Wehmut daran zurück, wie sie täglich im weissen Apothekerkittel – auch ihr Mann trug so einen – und tief auf ihrer Nase sitzender Brille den Laden so gut wie alleine schmiss, wohlwollend aber diktatorisch. Die Dame genierte sich nicht, Leute bewusst warten zu lassen oder gar zu ignorieren, wenn diese es pressant hatten. Bald war auf einem Schild an der Wand auf englisch und deutsch zu lesen: „Wer’s eilig hat, wird hier nicht bedient“.

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Gegen den neuzeitlichen Kommunikationsdrang hatte Frau Knapp offenbar eine Aversion: Sie entfernte die Telefonkabine und führte gleichzeitig ein Handy-Verbot ein. Zuweilen verfiel sie einem Verbotszwang. Nicht nur Hunden war der Zutritt verwehrt; sage und schreibe klebte einmal sogar ein Täfelchen mit durchgestrichenem Kleinkind an der Eingangstür – Babys unerwünscht. Doch gegenüber Gästen, die es nicht eilig hatten, nicht telefonierten und weder Hunde noch Babys dabei hatten, zeigte sich Frau Knapp meist höchst zuvorkommend, freundlich, einfühlsam, ja oft bemutternd – was dem einen oder anderen jungen Herrn schon mal etwas unangenehm werden konnte. Vielen Gästen glaubte sie, ihren Konsumationswunsch vor der Bestellung von den Augen ablesen zu können: „Sie sind ein Teetrinker.“

Für ihre grantelnde Seite war Maria Knapp aber genauso bekannt. So warf sie Hermes Phettberg einmal im hohen Bogen aus dem Café mit den wenig schmeichelhaften Worten „Geh’n Sie sich erstmal waschen, bevor Sie Kaffee trinken!“ Oder wehe dem, welcher sich über die nicht ganz günstigen Konsumationspreise äusserte. Da konnte Frau Knapp sehr ungehalten werden und dem Raunzer einen ellenlangen Vortrag über die Kosten halten – und zum Schluss verweigerte sie vehement das Trinkgeld von dem impertinenten Gast.

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Die hausgemachten Mehlspeisen – von Herrn Knapp persönlich zubereitet – waren weit herum für ihre ausgesprochene Köstlichkeit bekannt, und auch der Knapp-Capuccino – zwei Teile Kaffee, ein Teil heisse Schokolade – war ein von vielen geliebtes Kuriosum. Das Jelinek hatte eine beachtliche Stammkundschaft. Für diese dürfte es ein kleiner Schock gewesen sein, als Ende 2003 die Tür des Café Jelinek plötzlich verschlossen war. So gut wie sang- und klanglos ging das Ehepaar Knapp – Maria litt an Hüftproblemen und Migräne – in Pension und übergab das Kaffeehaus den Wirten des traditionellen Wiener Beisls gegenüber, den Paaren Haas und Schiffner.

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Die Knapps schienen den richtigen Riecher gehabt zu haben, denn die neuen Wirte, denen selbst das Café viel bedeutete, führten das Jelinek auf geschickte Weise weiter, so dass der grösste Teil der Stammkundschaft erhalten blieb, auch wenn viele von ihnen der weiss gekleideten Jelinek-Fee noch lange nachtrauerten. Der erhöhte Bereich, den Frau Knapp nur für auserlesene Stammgäste freizugeben pflegte, war nun für jedermann zugänglich. Heute befindet sich hier der Raucherbereich.

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Kaum eine Neuübernahme eines Wiener Kaffeehauses in letzter Zeit hat so gut geklappt wie diejenige des Jelinek. Die Atmosphäre im von Pastellfarben dominierten Raum ist nach wie vor unverkennbar – verstaubt, altmodisch, abgewohnt, unendlich gemütlich. Der stark abgenutzte Fischgrätparkett, die grünen Sitzbezüge, die Marmortische mit massiven Gusseisensockeln… alles ist unverzichtbar für das Jelinek. Im Winter wird im schweren Ofen – ein fast identisches Modell steht im Café Goldegg – eingeheizt, was das Zeug hält, so dass man selbst im T-Shirt gelegentlich in des Ofens Peripherie ins Schwitzen kommt. Der nahezu erblindete Spiegel gehört ebenso zur unverzichtbaren Jelinek-Ausstattung wie die zahlreichen Fotografien an den mottigen Seidentapeten-Wänden von mehr oder weniger prominenten Besuchern und Stammgästen.

Das Jelinek profitiert nicht zuletzt von seiner Lage abseits der Mariahilferstrasse, so dass sich hierhin kaum Shopping- und Urlaubstouristen verirren. Das Publikum setzt sich primär zusammen aus Quartieransässigen, Studenten und auffallend vielen namhaften Schauspielern und solchen, die es gerne wären, es aber nicht sind und wohl auch nie werden, sich aber trotzdem so geben, als gehörten sie zur Elite. Ein Besuch im Jelinek ist nicht einfach ein Kaffeehausbesuch – er ist selbst nach der Ära Knapp ein Erlebnis.


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