3. Bezirk, Heumarkt 15
Die Lage des Cafés am Heumarkt ist etwas undankbar im Zwickel einer mehrspurigen Kreuzung, über die während mindestens 18 Stunden pro Tag dichter Verkehr brettert. Ausserdem weist von aussen so gut wie nichts auf das Kaffeehaus hin, weder eine Überschrift noch ein Vermerk an der Tür. Erbaut wurde die gesamte Häuserreihe mit den Hausnummern 15 bis 25 in den Jahren 1852-58 von Anton Ölzelt. Wer ins Café Heumarkt geht, der kennt es eh und geht gezielt hin. Lohnen tut es sich aber für jeden, der eine authentische Wiener Kaffeehausatmosphäre schätzt und auf den allgemeinen Komfort der Innenstadtcafés verzichten kann.
Das Café am Heumarkt ist so authentisch, dass es als Drehort für einige Szenen aus dem Film „Qualtingers Wien“ herangezogen worden ist. Die letzte Änderung am Interieur dürfte wohl in den 50er-Jahren vorgenommen worden sein. Der grosse, L-förmige Raum mit flachem Tonnengewölbe ist sehr spärlich möbliert, es würden dreimal soviele Tische drin Platz finden. Aber was da ist, ist kaffeehausig auf der ganzen Linie: abgegriffene Marmortische mit endlos schweren Gusseisensockeln, abgesessene Sitzgarnituren mit rotem (Kunst-)Lederbezug, Fensternischentischchen, Luster – ihre einstigen 50er-Jahre-Glasschirmchen sind weg und durch Kugelbirnen ersetzt worden –, zwei Billardtische aus vergangenen Zeiten, ein abgewetzter Fischgrätparkett, ein riesiger Spiegel, ein altes Kastenklavier und ein nicht mehr funktionstüchtiger amerikanischer Kanonenofen.
Auch die Wandvertäfelung fehlt nicht – wäre sie doch bloss nicht aus Resopal im Holzlook. Die vergilbten Tapeten darüber mit feiner Musterung hingegen wären sehr passend, man müsste sie bloss vielerorts zurück an die Wand drücken. Das „Wahrzeichen“ des Kaffeehauses ist die mächtige Rundsäule, die als Raumteiler im Eckwinkel fungiert.
Die Lichtverhältnisse im Café sind sehr gewöhnugsbedürftig. Die Kugelluster leuchten viel zu grell, und aus den Fensternischen versprüht je eine nackte Röhre ihre Neonlichtromantik. Menschliche Geräusche im Café Heumarkt sind meist in der Minderzahl gegenüber anderer Laute: Von der Theke her rauscht unentwegt die Lüftung, und die vorsintflutliche Kuchenvitrine in der Mitte des Raumes brummt sporadisch wie ein altes Motorrad. Das dicke orange Stromkabel führt unbefestigt über den ganzen Boden zur Steckdose. In der Vitrine stehen das eine oder andere Kuchenstück, ein paar Berliner und ein paar Packungen Erdnüsse neben weiteren Getränkeflaschen.
Im Längstrakt unterbricht ein knallroter Kühlschrank mit Coca-Cola-Schriftzug das nostalgische Szenario. Trotz allem – oder gerade deshalb? – herrscht irgendwie eine besondere Behaglichkeit im überbeleuchteten, hallenden Saal. Sehr wienerisch: Der freundliche Herr Ober, der generell ganz alleine für das Wohl der Gäste sorgt, bedient meist im weissen Apothekerkittel, ähnlich wie einst Herr und Frau Knapp im Jelinek.
Das Café am Heumarkt ist ein beliebter Treffpunkt von älteren osteuropäischen Herren aus der Umgebung, die sich hier für Brettspiele und angeregtes Diskutieren treffen. Auch das sonstige Publikum setzt sich hauptsächlich aus Quartierbewohnern zusammen. „Fremde“ und Touristen verirren sich selten bis gar nie hierhin – wir erinnern uns: Das Kaffeehaus ist aussen nicht wirklich als solches erkennbar. Liest man Ingeborg Bachmanns Roman „Malina“ aus dem Jahre 1971, erfährt man, dass die grosse Autorin wohl einst hier Gast war, heisst es in einer Passage doch:
„Im Café Heumarkt bin ich noch immer böse auf Lina, denn sie ist die gefährliche Mitwisserin mancher meiner Gedanken… Ich rufe: Zahlen bitte! Herr Karl ruft freudig: Komme gleich! und verschwindet…“