1. Bezirk, Seilerstätte 9
In den Jahren 1871/72 errichteten die Architekten Hermann Helmer und Ferdinand Fellner ein Gebäude, welches die Funktion eines bürgerlichen Wiener Stadttheaters mit klassischen Bühnenstücken, modernen Tragödien und Lustspielen haben sollte – als Gegenstück zum den elitären höfischen Theater. Die Intitiative dazu war vom einflussreichen Journaliten Max Friedländer und vom Dramatiker und vormaligen Burgtheater-Direktor Heinrich Laube gekommen.
1884 wurde das Gebäude durch ein Feuer vollständig zerstört. Zwei Jahre darauf erwarb der Theaterunternehmer Anton Ronacher die Ruine und ließ an derselben Stelle ein Konzert- und Ballhaus errichten – wieder von Fellner und Helmer, repektive von dessen mittlerweile gegründeten gemeinsamen Architekturbüro.
Das neu entstandene Ronacher, ein Variététheater und ganz im Stil der Zeit gestaltet, wurde zusätzlich um ein Hotel ergänzt. Es war kein Theater im herkömmlichen Sinne: Die Logen und das Parkett waren mit Tischen und Stühlen besetzt, sodass das Publikum während der Aufführungen trinken, essen und rauchen konnte. Das Gebäude verfügte über eine elektrische Beleuchtung, weitläufige Promenaden, einen grossen Ballsaal und einen Wintergarten.
Aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten musste Ronacher die Leitung des Hauses bald abgeben. In den 1890er-Jahren traten hier unter anderem Athleten und sogenannte „Kraftmenschen“ auf, was nun vermehrt Publikum aus den Vorstädten anzog und die aristokratische Klientel verdrängte. Später wurden im Ronacher auch Revuen, Operetten sowie Tanz- und Gesangsvorführungen gezeigt. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente das Ronacher als Ersatzspielstätte für das Burgtheater, welches durch Bomben stark beschädigt worden und ausgebrannt war. Anschliessend traten für fünf Jahre erneut Varietékünstler auf, bis 1960 der ORF das Gebäude übernahm und für Fernsehproduktionen nutzte.
1976 zog der ORF aus, worauf das Theater zehn Jahre lang ungenutzt blieb. Eine erste Wiederbelebung erfolgte 1986 mit einer Aufführung der Operette „Cagliostro in Wien“ von Johann Strauss Sohn. 1987 übernahmen die Vereinigten Bühnen Wien das Haus, das in der Folge hauptsächlich als Aufführungsort für Musicals und Opern diente.
Nach einer umfassenden Renovierung und Instandsetzung im Jahr 1993 wurde das Ronacher wiedereröffnet und zunächst verpachtet. Heute gehört es erneut den Vereinigten Bühnen Wien und dient als Gastspielhaus für internationale Tourneeproduktionen und Festveranstaltungen.