Siegfried Translateur wurde am 19. Juni 1875 in Carlsruhe in Schlesien geboren. Sein eigentlicher Name lautete Salo. Das Musikstudium absolvierte er in Breslau, Wien und Leipzig und zog um 1900 schliesslich nach Berlin, wo er als Kapellmeister ein eigenes Orchester leitete. Im Jahre 1911 rief er den Musikverlag „Lyra“ ins Leben, welcher später mit seinem Sohn Hans als Mitinhaber in „Musikverlag Lyra Translateur & Co.“ umbenannt wurde. Der Verlag publizierte Translateurs eigene Werke und diejenigen anderer Musikschaffender, unter denen auch Paul Lincke genannt wird.
Translateur war jüdischer Herkunft, weshalb er nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten als nicht-arisch eingestuft, folglich zum Austritt aus der Reichsmusikkammer gezwungen wurde und seinen Verlag aufgeben musste. Er verkaufte das Unternehmen im Mai 1938 an den Verlag Bosworth. Siegfried Translateur wurde im Zweiten Weltkrieg ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo er am 1. März 1944 starb.
Translateurs Oeuvre umfasst rund 200 Kompositionen, von welchen heute die meisten vergessen sind. Doch zahlreiche seiner Werke, die er explizit für Klavier geschrieben hatte, waren an den Konservatorien bestens eingeführt und galten als musikpädagogisch wertvoll.
Das „Wiener Praterleben„
Wenige wissen, dass Translateur Schöpfer eines Walzers ist, der einst um die Welt ging und bis heute ein unsterblicher Ohrwurm geblieben ist. „Wiener Praterleben“ lautet der richtige Name des Walzers. Das Werk erlebte jedoch einen Wandel in Name und Verwendung. 1909 wurde die Idee des traditionellen Sechstagerennens nach Europa gebracht. In Berlin wurde es stets im Sportspalast ausgetragen. Ein junger Mann, Reinhold Habisch, war treuer Anhänger des Berliner Sechstagerennens. Wegen seiner Behinderung hätte er seinen Traum, einmal das Rennen zu fahren, niemals verwirklichen können. Daher sass er stets im Publikum. Da er ein geborener Witzbold war, riss er von der Tribüne, wohlbemerkt von den billigsten Plätzen, stets freche Possen und machte Witze, beleidigte die Fahrer und alberte rum. Das machte ihn zu einer Symbolfigur des Sechstagerennens.
Im Jahre 1923 spielte das Orchester erstmals das Wiener Praterleben zum Spektakel. In der dritten Walzersequenz folgen nach den ersten zwei Takten vier gleiche Töne. Habisch, auch „Olle Krücke“ genannt, fing allmählich an, diese vier Töne laut mitzupfeifen. Diese Pfiffe wurden seit jeher in den meisten Versionen des Walzers eingebaut und schrieben Geschichte. 1934 verboten die Nazis, den Walzer zu spielen wegen Translateurs jüdischer Herkunft. Man hielt sich aber kaum an das Verbot. Die Nazis verboten daraufhin das Sechstagerennen gänzlich, war es aufgrund seines Ursprungs und des stets gespielten Walzers doch „amerikanisch-jüdisch“. Der Berliner Sportpalast wurde 1973 abgerissen, jedoch das Sechstagerennen weiterhin ausgetragen.
Das Wiener Praterleben wurde also zur Hymne des Sechstagerennens und beschert den Zuhörern auch heute noch Hühnerhaut. In der Tat handelt es sich bei dem Werk um einen Walzer, wie er hinreissender nicht sein kann. Dahinfliessende Melodien, fröhliche Zwischenspiele, ein kontinuierlicher Dreivierteltakt, der jedes Tanzbein auf das Parkett lockt… Translateur drückt damit regelrecht aus, wie sich im Prater fröhliche Gesichter im Kreise drehen, Wiener Gemütlichkeit sich breit macht, reges Leben herrscht – gleichzeitig passend zu den Radfahrern, die kontinuierlich ihre Runden drehen in der Sportarena.
Auch wenn der Walzer die Hymne des Sechstagerennens geworden ist, ist er dennoch das Wiener Praterleben geblieben und auch heute noch besser unter diesem Namen bekannt. Es gibt mittlerweile unzählige Versionen davon. Und niemand weiss, dass wir das Meisterwerk einem gewissen Siegfried Translateur zu verdanken haben…
Einige weitere Kompositionen Translateurs:
-Berlin, mein Berlin (Walzer)
-Traumverloren (Walzer)
-La Reine du Bal
-Wiener Extrablätter (Walzer)
-Wiener Herzen (Walzer)