Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 2011

Programm


Das Programm des bevorstehenden Neujahrskonzerts der Wiener Philharmoniker mit Franz Welser-Möst auf dem Dirigentenpodest überrascht mich angenehm. Auch wenn es überaus Johann Strauss Junior-lastig ist. Es finden sich mehrheitlich sehr rare Kompositionen darunter, was mich aufrichtig freut !


• Johann Strauss Jun. – Reiter Marsch (op. 428) … Ein spätes Werk des Komponisten und eher selten auf CD-Einspielungen zu finden. Sehr schön, wenn auch nicht unbedingt die ideale Eröffnungskomposition.

• Johann Strauss Jun. – Donauweibchen (Walzer, op. 427) … Eine Opusnummer tiefer als der Reiter Marsch. Ebenfalls ein nicht so bekanntes Werk mit Melodien aus der wenig erfolgreichen Operette „Simplicius

• Johann Strauss Jun. – Amazonenpolka (op. 9) … Ein grosser Sprung zurück in die ganz frühe Schaffensphase des Strauss-Sohns. Nette Idee.

• Johann Strauss Jun. – Debutquadrille (op. 2) … Und gleich noch weiter zurück. Toll. Sogar Johann Strauss Sohn kann neu entdeckt werden!

Joseph Lanner – Die Schönbrunner (Walzer, op. 200) … Bingo! Lanner! Einer der genialsten Komponisten aller Zeiten und meine persönliche Nummer eins! Begründer des Wienerwalzers, der die Errungenschaften seines Vorgängers Michael Pamer weiterentwickelt und perfektioniert hat. Lanners Paradewalzer „Die Schönbrunner“ gilt als erster echter Wiener Konzertwalzer in hochvollendeter Form. Vielleicht wär ich noch glücklicher gewesen, wenn man etwas Unbekannteres von Lanner ausgesucht hätte. Aber es passt schon. Wenn der Name Lanner im Programm des Neujahrskonzertes auftaucht – egal mit welcher Komposition -, bin ich glücklich und zufrieden.

• Johann Strauss Jun. – Muthig voran! (Polka, op. 423) … Jaja, Strauss dominiert den ersten Konzertteil. Aber das hier ist eine weitere kaum bekannte Preziose aus seiner späten Phase, ebenfalls aus der Operette „Simplicius„.

PAUSE-

• Johann Strauss Jun. – Csárdás aus „Ritter Pasman“ … Opernluft kommt auf. Als der Walzerkönig sich an das Unterfangen wagte, eine Oper zu komponieren, also «ernste» Musik zu schreiben, scheiterte er kläglich. Das Bühnenwerk war ein Misserfolg auf der ganze Linie. Nichtsdestotrotz ist es ein willkommener Einfall, ein Stück daraus für das Neujahrskonzert zu wählen.

• Johann Strauss Jun. – Abschieds-Rufe (Walzer, op. 179) … Abschiedsrufe an das alte Jahr? Was auch immer, schon wieder Strauss Sohn. Doch abermals ein fast vergessenes Werk. Sehr schön. Der Walzer hatte Johann Strauss dem Komponisten Franz Liszt gewidmet. Uraufführung an einem Benefizkonzert im Sofiensaal am 28. Jänner 1856.

Johann Strauss Vater – Furioso-Galopp nach Liszt’s Motiven (op. 114) … Ach ja, Franz Liszt feiert 2011 seinen 200. Geburtstag. Ein unglaublicher Komponist, der meine allerhöchste Bewunderung hat. Er hat Wien beehrt und hier sogar einen Teil seiner Ausbildung erhalten. Und die Wiener U-Musiker haben ja stets gerne Themen von illustren Gästen aufgegriffen und auf ihre Weise vertont. Vater Strauss hat sich von Liszt inspirieren lassen. Vater Strauss – der Freund und Rivale von Joseph Lanner. Ebenfalls ein Genie, aber das Niveau von Lanner hat er nie ganz erreicht.

• Franz Liszt – Mephisto-Walzer Nr. 1 … Et voilà. Dem Geburtstagskind höchstpersönlich kommt die Ehre zuteil, im Goldenen Saal zu Neujahr zu erklingen. Musikalisch natürlich ein «Fremdkörper», aber eine tolle Idee.

Josef Strauss – Aus der Ferne (Mazurka, op. 270) … Zum Glück fehlt er nicht im Programm, der Pepi. Die Marzurka gehört zu seinen populären Kompositionen. Sehr schön ist sie und melancholisch. Typisch für Josef. Als er mit seinem Bruder Johann 1869 nach Russland reiste, verspürte er bereits auf der Hinfahrt grosse Sehnsucht nach seiner Frau Caroline in Wien, die er aufrichtig und innig liebte. Er begann deshalb mit der Niederschrift dieser wehmütigen Mazurka und schickte die Partitur nach Wien. Dort wurde die Komposition von Eduard Strauss am 2. Juli 1869 im Volksgarten uraufgeführt.Zu dieser Mazurka tanzt beim Neujahrskonzert das Ballett im Treppenhaus, dem Foyer und den Gängen der Staatsoper.

• Johann Strauss Jun. – Spanischer Marsch (op. 433) … Die Opusnummern um 430 des Walzerkönigs scheinen diesmal beliebt zu sein. Ein weiteres weniger bekanntes Stück vom Schani. Gewidmet hat er den Marsch der spanischen Regentin Marie Christine, eine Tochter von Erzherzog Carl Ferdinand und Erzherzogin Elisabeth von Österreich. Marie Christine hatte 1879 Alfonso XII. von Spanien geheiratet.

Joseph Hellmesberger Jun. – Zigeunertanz aus „Die Perle von Iberien“ (Ballett) … Bemerkenswert, dass Hellmesberger in den vergangenen Jahren regelmässig mit einer Komposition im Neujahrskonzert vertreten war und es nun wieder ist. Na, jeder Wiener Komponist hat es verdient, nicht vergessen zu werden. Das Ballett „Die Perle von Iberien“ ist aus dem Jahre 1902.

Johann Strauss Vater – Cachucha-Galopp (op. 97) … Diese Galoppe mag ich sehr. Ich freu mich drauf. Die Cachucha war damals ein beliebter spanischer Tanz. Die Uraufführung fand am 7. August 1837 an einem Ball in der „Goldenen Birn“ statt. Johann Strauss Vater soll die Galoppe eine Stunde vor Balleröffnung rasch hinkomponiert haben. Kopisten haben in Windeseile die Partitur verfielfältigt, und das Orchester hat die Galoppe ohne zu üben direkt ab Blatt gespielt.

Josef Strauss – Mein Lebenslauf ist Lieb und Lust (Walzer, op. 263) … Ein Klassiker vom Josef. Zum Abschluss des offiziellen Programms ganz hübsch. Das Ballett tanzt dazu im Schloss Laudon vor den Toren Wiens.

• Zugabe: Eduard Strauss – Ohne Aufenthalt („ohne zu stoppen“), Polka op. 112 … Der schöne Edi kommt persönlich noch zu Ehren.

• Der Donauwalzer und der Radetzky-Marsch werden wie immer das Spektakel ausklingen lassen. Zum Donauwalzer tanzt das Ballett dieses Jahr durch die Räume des Musikvereins (primär im Foyer und im Brahms-Saal, schliesslich noch im goldenen Saal). Zum Radetzky-Marsch: Auch wenn’s Tradition ist – Mitklatschen ist was ganz Furchtbares. Es gehört ins Bierzelt oder ins Musikantenstadl.


Fazit: Ein hochinteressantes Programm! Endlich wird eine Fülle an weitgehend vergessenen oder zumindest weniger bekannten Werken der Wiener Superstars hervorgeholt und der ganzen Welt präsentiert. Sind die Verantwortlichen etwa endlich ihrer völligen Einfallslosigkeit entkommen?

Dennoch: Ich warte sehnlichst darauf, dass die Verantwortlichen, von denen ich eigentlich ein gewisses Musikverständnis erwarte, begreifen, dass ein Carl Michael Ziehrer wenigstens von Zeit zu Zeit in einem Neujahrskonzert vertreten sein MUSS. Schliesslich bewegte er sich zur Zeit auf derselben Ebene wie die Sträusse und hat den Wiener Walzer ins neue Jahrhundert „hinübergerettet“. Hat man was gegen den Ziehrer? Warum wird er zu Unrecht so geringgeschätzt? Viele Kompositionen von ihm stellen selbst viele Werke von Johann Strauss in den Schatten. Die latente Anfeindung seitens der «Firma Strauss» sollte schon lange der Vergangenheit angehören…!


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