14. Bezirk, Baumgartner Höhe 1

1902 wurde ein Architekturwettbewerb für den Bau der grossen Heilanstalt „Am Steinhof“ ausgeschrieben, für den auch Otto Wagner einen Projektentwurf einreichte. Obwohl sich das Komitée für die Pläne des Landesoberbaurats und Architekten Franz Berger entschied, erhielt Otto Wagner den Auftrag, eine zum Anstaltskomplex gehörende Kirche zu entwerfen. Wagner, welcher mit der Synagoge in Budapest und der Linienkapelle am Gürtel in Wien bereits zwei Sakralbauten realisiert hatte, nutzte jetzt die Gelegenheit, mit der Kirche am Steinhof seine Visionen der modernen Sakralarchitektur voll zu verwirklichen.
Die dem heiligen Leopold geweihte Kirche auf der Baumgartner Höhe am abfallenden Gallitzinberg wurde am höchstgelegenen Punkt des Anstaltgeländes errichtet. Der Bau dauerte von Juni 1905 bis Oktober 1907. Es war ein für die damalige Zeit höchst modernes Gotteshaus. Otto Wgner beschritt damit neue Wege im Kirchenbau: Er vereinte das Schöne mit dem Zweckmässigen und plante nach dem Prinzip „Schön ist, was praktisch ist“.

Wagner passte die Innenausstattung den besonderen Bedürfnissen der Patienten an, indem er beispielsweise abgerundete Kirchenbänke installierte, um im Notfall rasches Eingreifen der Pfleger zu ermöglichen. Zudem legte er den gefliesten Boden zum Altar hin leicht abfallend an, um eine schnelle Reinigung zu ermöglichen und die Sicht auf den Altar zu verbessern. Die von Koloman Moser entworfenen Fenster lassen viel Licht in das Innere der Kirche fallen: Die reichen Mosaikarbeiten stammen unter anderem von Remigius Geyling.
Die Aussenwände der Kirche wurden – ähnlich wie bei der Postsparkasse – mit Marmorplatten verkleidet und durch Kupferbolzen fixiert. Auf den beiden Glockentürmen über der Portalfassade thronen Figuren des heiligen Leopold und des heiligen Severin, geschaffen von Richard Luksch. Auf den vier grossen Säulen über dem Eingang sthen vergoldete Engelsfiguren von Othmar Schimkowitz. Die schimmernde und somit weithin sichtbare Kuppel mit ihrem abschliessenden Turmhelm besteht aus vergoldeten Kupferquadraten.

Bei der Eröffnung der österreichischen „Landesirrenanstalt am Steinhof“ im Jahr 1907 stiess Otto Wagners Kirche auf heftige Kritik, was auch zu erwarte war zur damaligen Zeit: Die an die Pracht des Historismus gewöhnte Wiener Bevölkerung war noch nicht bereit für eine Kirche aus „gottlosem“ Material wie Stahl und Beton. Der konservative Kaiser Franz Joseph liess sich aus „Krankheitsgründen“ von der Eröffnungsfeier am 8. Oktober 1907 entschuldigen, und Erzherzog Franz Ferdinand, der die Eröffnungsrede hielt, machte keinen Hehl daraus, dass ihm persönlich der Maria-Theresianische Stil viel mehr zusage als der Jugendstil. Mit diesem Bauprojekt war Otto Wagners Gunst am Kaiserhof erloschen, und er erhielt von dort keine weiteren Aufträge mehr. Dessen ungeachtet, hat Wagner mit der Kirche am Steinhof eines seiner Hauptwerke geschaffen und damit eines der bedeutendsten Beispiele des Jugendstils, welches wegweisend für nachfolgende Bauwerke war.
Seit Mai 2022 gehört die Kirche am Steinhof zum Wien Museum.

