„Cato“ in der Operettenwelt: Der Fall Heuberger im „Fin de siècle“

Text von Franz Mailer (1920-2010), österreichischer Musikschriftsteller und -kritiker.


Es gab wohl kein Mädchen, keine Frau in Wien, die im kalten Winter 1898 nicht ins „Chambre séparée“ eingeladen worden wäre! Nicht, dass die jungen und auch die „ewig jungen“ Männer der Reichs-, Haupt- und Residenzstadt an der Donau auf einmal alle ausnahmslos so noble Passionen angenommen hätten, wie man sie einigen Erzherzogen nachsagte, von denen man sich zuraunte, dass sie häufig oder doch zumindest gelegentlich mit den Damen der grossen Welt – oder auch der Halbwelt! – in den diskreten kleinen Salons des Hotel Sacher soupierten! So nobel gaben es die meisten Wiener auch damals nicht: Sie hatten ihre Rendezvous auch weiterhin im Stadtpark, im Park des Schlosses Schönbrunn oder am Eingang zum Prater; und wenn sie ihre Mädchen ausführen wollten, dann luden sie diese meist noch recht sorgfältig behüteten jungen Damen ins Theater oder auf eine Torte lediglich ins Café des Hotels Sacher ein. 

Aber ein süsses Liedchen von Richard Heuberger aus der Operette „Der Opernball“, die am 5. Januar 1898 im Theater an der Wien zum ersten Mal aufgeführt wurde, hatte das kleine Wunder im Dreivierteltakt bewirkt, dass nun also jedem Mädchen, jeder Dame und wohl auch jeder Bürgersfrau in der Vorstadt bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit ins Ohr gesungen wurde: „Komm mit mir ins Chambre séparée“. Das kleine Lied war buchstäblich zum „Ohrwurm“, zum allgegenwärtigen Schlager geworden. 

Als dann der Winter vorüber war und der Frühling die Menschen ins Freie lockte, klang es immer noch „…ins Chambre séparée…“ – aber jetzt hörte man das Lied nicht nur in Wien, sondern auch an der Spree, an der Isar, am Rhein und am Neckar, an der Moldau und an der Elbe und schliesslich sogar in Paris, wo man allerdings nicht an die „Séparées“ im Wiener Hotel dachte, sondern an die jedem Lebemann wohlvertrauten Logen der Pariser Oper, in denen ja die Handlung jenes Werkes spielt, das in Wien die Leute derart bezaubert hatte. Aber das nahm dem Liedchen Heubergers nichts von seinem Reiz, wie denn überhaupt die gesamte Musik der Operette „Ein Opernball“ überall in der Welt anerkannt wurde. Sie verschwand auch nicht aus dem Repertoire, als die erfolgreichsten Werke der sogenannten „Silbernen Ära der Operette“, also die Operetten von Franz Lehár, Leo Fall, Oscar Straus, Emmerich Kálmán, Leo Ascher, Bruno Granichstädten und anderer wenigstens eine Zeitlang vielgespielter Komponisten, die Bühnen eroberten.

Sie erklang weiter,  bis der Ausbruch des Ersten Weltkriegs den Europäern andere Lieder auf die Lippen zwang. Aber da war Richard Heubergers Lebenskraft bereits gebrochen: am 28. Oktober 1914 nahm ihn der Tod mit sich. Seine Zeit war um, seine Welt verging. Zu den Lichtern, die damals erloschen, gehörte auch das seine.

Zur Musik desertiert

Es war ein freundliches, allerdings zeitweise hektisch flackerndes, manchmal ungleichmässig wirkendes Licht gewesen, das von der Person des hochgewachsenen, stets eleganten und mit einem gewinnenden Lächeln auftretenden Richard Heuberger ausging. Nur einmal war es strahlend genug gewesen, ganz Europa in den Widerschein jener berückenden Sphäre zu führen, der um die Jahrhundertwende gerade über Wien, über der Metropole des bereits längst zum Verfall verurteilten Habsburgerreiches, lag: damals, als Heuberger die Partitur seiner Operette „Der Opernball“ schrieb. aber auch in all den Jahren einer vielfältigen Tätigkeit vor und nach der Première dieser Operette war es stets angenehme hell und anziehend gewesen um Richard Heuberger; er war geschätzt und geachtet, stand allerdings kaum einmal im Mittelpunkt eines Kreises, an der Spitze einer künstlerischen Entwicklung. Und der Grund dafür mag wohl drin zu suchen sein, dass Heuberger zu vielseitig begabt und interessiert war! 

Eigentlich hätte der am 18. Juni1850 in Graz geborene Richard Franz Joseph Heuberger gar nichts mit Musik zu tun haben sollen: In seiner Familie wurde zwar eifrig Klavier gespielt und auch gesungen, aber Vater Heuberger befahl die Ausbildung des heranwachsenden Sohnes zum Ingenieur. Und als dieser die technischen Hochschule seiner Heimatstadt so einigermassen erfolgreich absolviert hatte, wurde er zum Eisenbahnbau abkommandiert. Bei dem problemreichen Ausbau des Bahnnetzes in der österreichischen Alpenregion war gerade der Ausbau der Strecke Salzburg-Wörgl an der Reihe. Dort packte also Ingenieur Heuberger eifrig zu. Aber der Kontakt Heubergers zum reichen Musikleben der steirischen Metropole Graz wurde deshalb keineswegs unterbrochen. Von seinen Freunden und Studiengenossen, unter denen sich Talente wie Wilhelm Kienzl, Ferruccio Busoni, Felix von Weingartner und Robert Fuchs (genannt der „Serenadenfuchs“) befanden, wurde er auf dem laufenden gehalten. Auch der von Jugend auf bestehende Verkehr mit Peter Rosegger, Robert Hamerling und Anastasius Grün wurde, so gut es gehen mochte, stets aufrecht erhalten.

Gerade diese freundschaftlichen Beziehungen liessen den etwa 25jährigen Ingenieur Heuberger vom Beruf zur Berufung wechseln: zusammen mit Peter Rosegger hatte er bereits eine Sammlung „Volkslieder aus der Steiermark“ herausgegeben; im Jahre 1876 komponierte er anlässlich einer Feier für Anastasius Grün eine „Kantate“. Als dieses Werk allgemeine Anerkennung fand, desertierte Heuberger vom Eisenbahnbau; er weigerte sich auch, an der Regulierung des wilden heimatlichen Bergflusses, der Mus, mitzuwirken; er war fortan Musiker! Natürlich war die Kantate für Grün nicht sein allererstes Werk: die für die Laufbahn eines Kapellmeisters und Komponisten nötigen Kenntnisse hatte sich Heuberger grösstenteils selber angeeignet, und Wilhelm Kienzl meinte später, die „wilden Stücke“ des jungen Heuberger seien gewiss nicht seine schlechtesten gewesen: „Sie waren einfach genial“.

Näher zu Brahms als zu Wagner

Zur allgemeinen Überraschung blieb der Musiker Heuberger nicht in seiner Heimatstadt Graz, obwohl diese ihn wohl nach Kräften gefördert hätte: er übersiedelte noch im Laufe des Jahres 1876 nach Wien; nur die „Kaiserstadt an der Donau“, so meinte er, sei der richtige Ort für die Entfaltung aller seiner künstlerischen Möglichkeiten. Heuberger fand auch sogleich eine achtbare Position: er wurde Dirigent des „Akademischen Gesangsvereins“, später übernahm er auch die Leitung der „Singakademie“, die vor ihm bereits Johannes Brahms inne gehabt hatte. Als Richard Heuberger mit seinen Sängern und Sängerinnen die damals aktuelle Literatur einübte – vor allem die Chöre von Johannes Brahms, Johann Herbeck, Carl Goldmark und anderen in Wien wirkenden Zeitgenossen-, hatte er allerdings den eigenen Weg in die Zukunft noch keineswegs gefunden.

Charakteristisch dafür war ein Erlebnis, das Heuberger immer noch beschäftigte: Im Februar 1875 war er zusammen mit Wilhelm Kienzl zum ersten Mal nach Wien gereist. Die beiden waren – wie übrigens die meisten Musikfreunde in Graz – begeisterte „Wagnerianer“ und wollten dem allgemein als Sensation empfundenen Wagner-Konzert der Wiener Philharmoniker beiwohnen, das der in Wien noch leidenschaftlich umstrittene Komponist damals dirigierte. Aber Richard Heuberger besuchte, weil er nun schon einmal in der Residenz war, auch die Aufführungen des „Deutschen Requiems“ von Johannes Brahms und der Operette „Cagliostro in Wien“ von Johann Strauss, die – jeweils unter der Leitung des Komponisten – das Wagner-Konzert gleichsam umrahmten.

Die Eindrücke, die Heuberger damals empfing, hielten ihn davon ab, sich (gleich Kienzl) einseitig an Wagner zu orientieren; Heuberger entschloss sich vielmehr, sein eigenes Schaffen für alle Anregungen offen zu halten, die jedem Musikfreund, und erst recht natürlich dem jungen Komponisten, in diesen Jahren so reichlich dargeboten wurden. Schliesslich geriet Heuberger aber doch in den Bannkreis um Johannes Brahms. Er hatte bereits eine Reihe recht effektvoller Chorwerke und Lieder geschrieben, als ihm seine Tätigkeit als Leiter des Akademischen Gesangsvereins zu einer Begegnung mit dem in Wien freilich noch keineswegs vom „breiten Publikum“ anerkannten Hamburger Komponisten verhalf. Brahms kam dem Herrn Chormeister mit so viel Verständnisbereitschaft entgegen, dass Heuberger es im Mai 1878 wagte, ihm eine Reihe seiner Arbeiten zur Beurteilung vorzulegen.

Brahms nahm sich viel Zeit und korrigierte die Stücke derart gründlich, dass Heuberger schliesslich, wie er in seinem Tagebuch ausdrücklich vermerkte „in eine korrekte Delinquentenstimmung“ geriet. Entmutigt freilich wurde Heuberger durch dieses Erlebnis nicht: er arbeitete – allerdings mit weniger Wagemut – mit grösster Sorgfalt weiter. Besondere Anerkennung im Freundeskreis fand eine „Nachtmusik“, die als Opus 7 im Druck erschien. Als das Werk bald darauf bei einem – von Heuberger selbst bezahlten! – Kompositionskonzert aufgeführt wurde, liess sich Wilhelm Kienzl von Graz her mit dem Urteil vernehmen: „So sind wir denn um einen Meister reicher geworden.“ Auch der gestrenge Kritiker der „Neuen Freien Presse“, Eduard Hanslick, trat für Heuberger ein, und so kam es, dass die Wiener Philharmoniker eines seiner Werke, die „Variationen über ein Thema von Franz Schubert“, schon im Jahre 1880 auf das Programm eines Abonnementskonzerts setzten.

Der Chormeister wir Rezensent

Wie es so geht in dieser Welt (und gar in Wien!): Der Erfolg schuf dem Komponisten Heuberger Neider. „Es kam zu massgeblichen Differenzen zwischen mir und den massgebenden Leuten des ‚Akademischen Gesangsvereins‘“, schrieb Heuberger in seinen „Erinnerungen“ – und dass sich sowohl Johannes Brahms als auch Eduard Hanslick in aller Öffentlichkeit auf die Seite ihres Freundes stellten, machte die Sache erst recht irreparabel. Heuberger gab seine Stellung als Chormeister auf. Da der Komponist von den Einnahmen, die er von den Verlegern seiner Werke erhielt, kaum mehrere Wochen hätte leben können, wechselte er kühn die Positionen und ging ins Lager der Musikschriftsteller und Rezensenten über. Ab 1881 erschienen seine Beiträge im „Wiener Tagblatt“, etliche Korrespondentenberichte auch regelmässig in der „Münchener Fremdenzeitung“.

Als Kritiker wurde der im Privatleben stets konziliante und liebenswürdige Mann zu einem der wortgewaltigsten Streiter im Parteikampf, der in den folgenden Jahren und Jahrzehnten das Wiener Musikleben prägte: Wagner gegen Brahms hiess es da, Johann Herbeck und Anton Bruckner gegen Carl Goldmark und Robert Volkmann; später gerieten auch noch Hugo Wolf und sogar der wenig bedeutende Robert Fuchs ins Feuer einer Gegnerschaft, zu der es im Grunde keinen Anlass gab.

„Der nervige, breitschultrige Mann mit dem interessanten Kopf“, so heisst es in einem Nachruf auf Heuberger, „war ein militanter Rezensent, der die Gerechtigkeit getrost seinem lieben Gott überliess, in dessen Ressort sie ja auch wirklich eher gehört als in das Ressort eines sehr temperamentvollen Musikschriftstellers, mit dem Liebe und Hass manchmal durchgingen. Dazu kamen noch seine steirische Direktheit und Härte.“

Korrekte Schubert-Biographie

Es ist begreiflich, dass sich – auch bei seinen Freunden – für den gestrengen Kritiker Heuberger der Spitzname „Cato“ einbürgerte; der Herr Rezensent erregte freilich mehr furcht als Anerkennung; seine Redlichkeit aber wurde auch von seinen Gegnern nie angezweifelt. Da Richard Heuberger nach der Beendigung seiner Tätigkeit für das „Tagblatt“ auch noch die Stelle Eduard Hanslicks in der „Neuen Freien Presse“ für einige Jahre übernahm, war er bis zum Jahre 1902 als Rezensent und Journalist tätig. Unmittelbar anschliessend veröffentlichte Heuberger eine der ersten wissenschaftlich korrekten Biographien Franz Schuberts – er war übrigens dadurch, dass eine Heubergerische in die Familie Schubert eingeheiratet hatte, mit dem Lichtentaler Meister wenn schon nicht verwandt, so doch verschwägert – und gab bis zum Jahre 1906 ein „Musikbuch aus Österreich“ heraus.

Vielseitigkeit kann Heuberger also gewiss nicht abgesprochen werden! Denn neben seiner Arbeit als Journalist und Musikschriftsteller ging ja Heubergers Tätigkeit als Komponist weiter. Allerdings verlegte er nun gleichsam den Schwerpunkt seiner Bemühungen: er suchte den Zugang zur Bühne. Es war ein Ziel, „eine Art Freischütz“ zu schaffen. Heuberger ersuchte daher Peter Rosegger, ihn mit Ludwig Anzengruber in Verbindung zu bringen. Obwohl sich Rosegger sofort um die Zusammenarbeit seiner beiden Freunde bemühte, kam es zu keinem gemeinsamen Werk. Auch bei dem als Operettenlibrettisten (für Carl Millöcker und Johann Strauss) später durchaus erfolgreichen Kollegen Hugo Wittmann bat Heuberger vergeblich um ein Textbuch (und zwar schlug er ihm eine Opernversion von Shakespeares „Was ihr wollt“ vor.)

„Abenteuerliches…“

Mit leidenschaftlichem Eifer, der durch Enttäuschungen nicht entmutigt werden konnte, wandte sich Richard Heuberger der Reihe nach an so gut wie alle damals erfolgreichen oder wenigstens hoffnungsvollen Bühnenschriftsteller und trug ihnen die gemeinsame Arbeit an einer Oper an. Schliesslich akzeptierte er ein Libretto nach einem Bühnenwerk von Zschokke, das ihm von einer Frau Schumann zugeschickt worden war. Es hatte den Titel „Die Abenteuer einer Neujahrsnacht“ und bot eher den Stoff für eine Operette als für eine Oper. Aber Heuberger hatte die Zusage des in Leipzig wirkenden Dirigenten Arthur Nikisch, das Werk an seiner Bühne herauszubringen. Er arbeitete rasch und legte seine Partitur noch im Jahre 1885 vor. Etwa zur selben Zeit setzten die Wiener Philharmoniker eine im Bannkreis Brahms‘ entstandene Symphonie Heubergers auf das Programm ihrer Abonnementkonzerte. Ein seltsames Ergebnis war die Folge: die „Abenteuer“ gefielen nur in Leipzig, die Symphonie bestand nur in Wien in Ehren. Beide Werke haben Europa nicht erobert.

Heuberger schrieb als nächstes Werk ein Musikdrama (auf einen Text von Widmann) „Manuel Venegas“. Wieder wagte Leipzig die Uraufführung. Aber das Werk fiel durch („Heubergers Stoff ist stofflich mit ‚Carmen‘ verwandt, musikalisch aber mit ‚Tristan‘“ urteilte ein Dresdner Rezensent). Aber ausgerechnet an diese Oper glaubte man auch in Wien: Heuberger liess daraufhin das Libretto von Ludwig Ganhofer umarbeiten und arrangierte die Partitur neu. Der Titel wurde ebenfalls verändert: aber auch unter dem Doppelnamen „Mirjam oder Das Maifest“ gefiel das Werk dem Publikum nicht. Bei der Première im Hof-Operntheater an der Wiener Ringstrasse kam es übrigens zu einer unerwarteten Konstellation: weil der Hof-Opernkapellmeister Hans Richter nach der Generalprobe erkrankte, stand am Premierenabend der Komponist selbst am Pult. Und prompt schrieb der Kritiker Ludwig Speidel: „Wir sind ausgegangen, einen Komponisten zu suchen und haben einen trefflichen Dirigenten gefunden…“

Heuberger war keineswegs entmutigt. Unverdrossen machte er sich auf die Suche nach einem neuen Textbuch. Er wandte sich neuerlich an Hugo Wittmann, selbst an den alten Eduard Bauernfeind, hielt nun auch schon Umschau im Kreis der Operettentexter – doch es wollte sich nichts Brauchbares zeigen. Da komponierte Heuberger so zwischendurch zwei Ballette: „Die Lautenschlägerin“ und „Struwwelpeter“. Beide Werke wurden – fernab von Wien – mit einigem Erfolg aufgeführt. Nun begann Heuberger, an sich selbst zu zweifeln.

Ein seltsamer Austausch bürgerte sich ein: Heuberger, der nach wie vor zum engsten Kreis um Johannes Brahms gehörte und dort auch mit dem Arzt Theodor Billroth und mit Johann Strauss bekannt geworden war, half andern Komponisten etwa beim Instrumentieren aus, liess sich aber auch selbst – zum Beispiel von Adolf Müller junior und von Alexander von Zemlinksy – bei der Ausarbeitung seiner Partituren unterstützen. Nun schloss es Richard Heuberger auch nicht mehr aus, dass sein nächstes Werk – eine Operette sein könnte! Als sich diese Vorhaben herumsprach, meinten seine Kollegen verblüfft: „Der gestrenge Kritiker Cato in der liederlichen Operettenwelt – das darf doch nicht wahr sein!“ Aber es wurde dennoch Wirklichkeit.

Schon ab dem Jahre 1890 war vorhersehbar geworden, dass die Ära der „Klassischen Wiener Operette“ zu ende gehen werde. Johann Strauss hatte sich bemüht, seinem Genie die Sphäre der Hofoper zu erschliessen – aber sein als musikalisches Lustspiel geplantes Stück „Ritter Pasman“ – komponiert auf einen Text des mit einigen Werken im Hofburgtheater durchaus erfolgreichen Sektionschefs Ludwig Doczi – war schon vor der Uraufführung bei der Direktion Jahn in Ungnade gefallen und wurde bereits nach neun Vorstellungen wieder aus dem Spielplan genommen. So sah sich Strauss – ganz gegen seinen Willen – wieder ins Lager der Operettenkomponisten zurückgeworfen, in dem er sich nun ganz und gar nicht mehr wohlfühlte.

Franz von Suppé starb im Mai 1895, Carl Millöcker war durch anhaltende Krankheit derart erschöpft, dass er die Höhe seiner Meisterwerke „Der Bettelstudent“ oder „Der arme Jonathan“ und „Gasparone“ nicht mehr erreichen konnte. Gewiss – der Beamte des Kultusministeriums, Carl Zeller, hatte nun der Operettenbühne ein artiges Talent für sangbare Melodien zu bieten, aber für eine neue opernhafte Operette, wie es etwa „Die Fledermaus“ von Johann Strauss gewesen war, reichte dieses Talent gewiss nicht aus. Heuberger freilich traute es sich zu, das Problem eines „Opernlustspiels“, an dem Johann Strauss mit seinem „Ritter Pasman“ gescheitert war, auf seine Weise zu lösen.

Heuberger verstärkte also seine ohnedies stets mit Eifer betriebenen Bemühungen um ein geeignetes Textbuch. Er wandte sich an Paul Heyse, Otto Julius Bierbaum und sogar an den jungen Hugo von Hofmannsthal – aber es wollte sich kein geeignetes Projekt ergeben. Und natürlich sah sich Heuberger auch – wie es ja auch die Librettisten der Strauss-, Suppé- und Millöcker-Operetten so gern getan hatten – nach einem Lustspiel um, das irgendwann auf irgendeiner Bühne bereits Erfolg gehabt hatte und das man sich nun auch als Operette vorstellen konnte.

Etwa im Jahre 1895, spätestens 1896 stiessen Heuberger und seine Frau beim Blättern in alten Journalen auf die sehr anerkennenden Kritiken, mit denen einst das im alten (indessen abgebrannten und durch das Variété „Ronacher“ ersetzten) Stadttheater aufgeführte Lustspiel „Die rosa Dominos“ der Franzosen Delacour und Hennequin begrüsst worden war. Eine Umfrage bei Bekannten ergab, dass auch diese sich noch recht gut an das Stück erinnerten: schliesslich war es unter der indessen legendären Direktion Heinrich Laubes mit den Publikumslieblingen Emerich Bukovics und Rudolf Tyrolt und mit der anmutigen jungen Schauspielerin Katharina Schratt aufgeführt worden.

Bot dieses Stück den Stoff, den Heuberger so lange suchte? Voller Begeisterung eilte Heuberger ins Café Museum, Ecke Operngasse Karlsplatz, weil es sicher war, dort inmitten einer ganzen Schar von Librettisten den Stammgast Viktor Léon zu treffen, den er vom Strauss-Palais in der Igelgasse her kannte und mit dem er schon oft wegen eines Textbuches verhandelt hatte. Léon sass prompt hinter einer „Mélange“. Schon unter der Türe rief Heuberger ihm zu: „Léon, ich habe eine Idee!“ „So“, sagte Léon, „das trifft sich gut, auch mir ist ein Stoff für Sie eingefallen: ‚die rosa…‘“ „‘…Dominos‘“, ergänzte Heuberger prompt. Beide waren verblüfft. Wenn das kein gutes Vorzeichen war! „Die Sache war also entschieden“, erzählte Heuberger später. „Ich arbeitete mit Feuereifer und meistens mit Glück…“

Etwa gegen Ende des Jahres 1896 war die Operette, die indessen den Titel „Der Opernball“ erhalten hatte, im wesentlichen fertiggestellt. Léon machte die Sache pressant – er wollte das Werk so bald wie möglich im Carltheater unterbringen. So kam es wohl auch, dass Alexander von Zemlinsky, der damals so manche Operette aufführungsreif machen half, auch bei der Fertigstellung dieser Partitur mitarbeitete. Doch dann weigerte sich die Direktion des Carltheaters, die Heuberger-Operette auf die Bühne zu bringen. „Sie ist zu schwierig“, hiess es, „zu anspruchsvoll“.

An der Wende der Zeiten

Nun – anspruchsvoll war die neue Operette von Heuberger gewiss, vielleicht auch schwierig. Der Komponist hatte sich ja das Ziel gesetzt, sein Werk zumindest in der Nähe der Opernsphäre anzusiedeln. Von der kapriziösen Ouvertüre bis zum effektvollen Schlussensemble war der Stil eines „Opernlustspiels“ im Geiste der „Fledermaus“ konsequent durchgehalten. Nicht einzelne „Schlager“ bestimmten den Charakter des Werkes, sondern die solide musikalische Ausarbeitung aller Details – selbst Einfälle wie das als Duett vorgetragene Lied „Komm mit mir ins Chambre séparée“, die berufen waren, von der ganzen Welt nachgesungen zu werden, wurde so sorgfältig in die Partitur eingefügt, dass sie ohne Stilbruch über die Rampe gehen konnten.

Man spürte aber auch bereits die Ahnung einer neuen Zeit – manches an dieser Musik wies voraus in die kommende Sphäre jener „Zukunftsmusik“, von der die Wiener niemals hatten etwas wissen wollen und die sie nun erst recht nicht anerkennen wollten. Das allerdings war alles andere als ein Zufall. Denn Richard Heuberger hatte auch als Rezensent stets Verständnis für das Neue und sollte sich in der Zukunft auch für Alexander von Zemlinsky, Gustav Mahler und erst recht für Arnold Schönberg einsetzen, der sich ja auch an ihn um rat und Hilfe gewandt hatte.

Es ist gelegentlich behauptet worden, Richard Heuberger habe seine Arbeit an einer Operettenpartitur vor dem um diese Zeit bereits todkranken Johannes Brahms geheimgehalten; einmal weil er im Kreis um „seinen Meister“ nur als ernster Musiker habe gelten wollen, und zweitens, weil Brahms unter allen den Operettenkomponisten dieser Epoche ohnedies nur Johann Strauss anerkannte. Aber diese Ansicht ist nicht aufrechtzuerhalten: Heuberger schrieb die Musik zum „Opernball“ noch zu Lebzeiten Brahms‘ und hielt diese Arbeit keineswegs geheim. Das Werk wurde seit dem Herbst 1896 – zuerst für das Carltheater, erst später für das Theater an der Wien – wiederholt angekündigt, und Brahms war bis in die letzten Tage seines Daseins ein aufmerksamer Zeitungsleser.

Der grosse Erfolg seiner Operette „Der Opernball“, die schliesslich am 5. Januar 1898 auf der Bühne des Theaters an der Wien zum ersten Mal in Szene ging, hatte Richard Heuberger zwar europaweit berühmt gemacht, reichte aber doch nicht aus, den Komponisten aller Sorgen zu entheben. Dazu kam, dass die folgenden Bühnenwerke die Publikumswirkung des „Opernballs“ nicht mehr erreichten. Das lag in der Hauptsache an den wenig für eine Operette geeigneten Handlungen, aber doch auch an dem Bestreben Heubergers, seine Musik so sehr zu verfeinern und zu „veredeln“, dass auch gute Einfälle in seinen Partituren nicht mehr effektvoll zur Geltung kommen konnten.

Am ehesten wurde das Gleichgewicht zwischen Libretto und Musik noch in der Operette „Ihre Excellenz“ erreicht, die Heuberger seinem Freund Johann Strauss noch kurz vor dessen Tod widmen konnte. Später erwies sich der Zwiespalt zwischen Text und Musik als immer grösser und störender. Es spricht aber für Heubergers künstlerische Zucht und Fähigkeit zur Selbstkritik, dass er das Libretto für eine Operette mit dem Titel „Die lustige Witwe“, das ihm Viktor Léon bereits überlassen hatte, an Franz Lehár abtrat, weil er einsah, dass dieser Stoff eine leichtere Hand als die seine erforderte. In der Folge hat sich Heuberger auch Oscar Straus gegenüber als ähnlich grosszügig erwiesen.

Nicht gleichgültig war es Heuberger freilich, dass über dem Erfolg seiner Operette „Der Opernball“ seine symphonische Musik, seine Lieder und Chöre und schliesslich auch seine Opern vergessen wurden. Aber daran war – und ist – wohl kaum etwas zu ändern. Zieht man freilich sorgfältig die Summe dieses reichen Lebens, so kommt man schliesslich doch zur Erkenntnis: Richard Heuberger war in seiner Vielseitigkeit und Gediegenheit einer der interessantesten Komponisten und Musikschriftsteller in den Jahren des Überganges vom 19. zum 20. Jahrhundert, an der Wende der Zeiten.